Klöster waren stets Hochburgen des Gelehrtentums. Den Klosterärzten ist es auch zu verdanken, dass das antike Heilwissen für die Medizin erhalten blieb.
Mit dem Zerfall des Imperium Romanum und in den darauf folgenden Jahrhunderten des kulturellen Stillstands drohten die immensen Kenntnisse der Antike für immer verloren zu gehen. Es ist das Verdienst der Klöster, das die medizinische Wissenschaft nicht in diesen Trümmern unterging, sondern lebendig blieb.
Auf diesem Vermächtnis basierte die Medizin der folgenden Jahrhunderte und bereitete unserer heutigen den Weg. Denn die Klöster sammelten und konservierten alles noch Vorhandene aus der kulturellen Blüte vor und um die Zeitenwende. Hochburgen universaler Gelehrsamkeit, deren Bibliotheken und Skriptorien die Schmieden waren, die das alte Wissen in neue Formen gossen – die kulturelle Brücke von der Antike zur Neuzeit.
Die ersten Klosterärzte
Die Gründung des ersten Benediktinerordens im Jahr 529 durch Benedikt von Nursia auf dem Monte Cassino und die Niederlegung seiner Ordensregel markieren den Beginn der Klostermedizin. Was Benedikt in seiner »Regula Benedicti« über »Die kranken Brüder« verfügt hatte, wurde zum geistigen Katalysator klösterlichen Heilens. Der wissenschaftliche Impuls hingegen kam von zwei herausragenden mittelalterlichen Gelehrten: dem römischen Politiker und Schriftsteller Cassiodor Senator (um 490 bis 583) und Isidor, seines Zeichens Bischof von Sevilla (um 570 bis 636). Als »Enzyklopädist des Mittelalters« in die Geschichte eingegangen, weckte Isidor mit seinem mehrbändigen Monumentalwerk „Etymologiae sive origines“ das medizinische Interesse der Ordensleute. Cassiodor, der sich um 550 aus dem Staatsleben zurückgezogen hatte, gründete in seiner süditalienischen Heimat das Kloster Vivarium: Eine Mönchsakademie, in der die »Artes liberales«, die freien Künste, einschließlich der Medizin, gelehrt wurden. Auf dem Lehrplan standen die Werke von Dioskurides, Hippokrates und Galen sowie von Caelius Aurelius.
Wichtiger Wegbereiter: Karl der Große
Der 800 zum ersten nachantiken Kaiser gekrönte Karl der Große (768 bis 814) machte die Klöster im Zuge seiner umfassenden Reformen endgültig zu Zentren der medizinischen Bildung: in seiner Landgüterverordnung „Capitulare de villis“ befahl er, dass der Lehrstoff der Mönchsakademie von Cassiodor an allen Kloster- und Kathedralschulen gelehrt werden solle.
Im frühen 12. Jahrhundert neigte sich die Epoche der Klostermedizin ihrem Ende zu: das Konzil von Clermont untersagte im Jahr 1130 Ordensangehörigen jegliche Ausübung ärztlicher Tätigkeit. Der konziliäre Erlass wurde allerdings nicht streng befolgt und deshalb auch öfters wiederholt. Ungeachtet dieser Verbote existierte die Klostermedizin in der Praxis weiter bis zum Jahr 1803, in dem die Säkularisation dem medizinischen Wirken in den Klöstern endgültig ein Ende setzte.
Arzneischatz der mittelalterlichen Klöster
Er rekrutierte sich überwiegend aus dem Reich der Flora, Heilmittel mineralischen oder tierischen Ursprungs kamen weitaus weniger zum Einsatz. Das zweite Therapieregiment, dem sich die Klostermedizin neben der Phytotherapie verschrieben hatte, war die Diätetik, die „Kunst der behutsamen Lebensführung,“ was wir heute als Präventivmedizin bezeichnen würden. Daneben wurden Aderlass, Schröpfen und Klistiere vorgenommen sowie in Notfällen Maßnahmen der »kleinen Chirurgie« mit Messer und Glüheisen.
Die Anfänge der Pharmazie
Die Antike hatte der Klostermedizin beste Voraussetzungen für eine umfassende Phytotherapie hinterlassen, die auf empirischen Erkenntnissen und tief greifendem botanischen wie pharmakologischen Wissen beruhte. Dieses Wissen und die von den Klöstern selbst gesammelten Erfahrungen mit Arzneipflanzen wurden in den Herbarien niedergelegt: Umfassende Kompendien, die neben den zur Bestimmung der Pflanzen erforderlichen Angaben stets auch Kommentare zu deren Heilwirkungen enthielten – die Studien der mittelalterlichen Mönchsärzte entsprangen weniger einem botanischen als vielmehr einem pharmazeutischen Interesse.
Die Herbarien trugen entscheidend zum wissenschaftlichen Fortschritt auf dem Gebiet der Phytotherapie und der Pharmakologie bei. Indem sie die aus vergangenen Tagen überlieferten Kenntnisse weitertradierten, waren sie zwar konservativ, führten aber auch bis dato ungebräuchliche Arzneipflanzen und neue Heilanzeigen ein. Der Forschereifer jener ersten Phytopharmakologen und deren Wissen um die »Tugenden der Arzeneypflanzen« legten den Grundstock der pharmazeutischen Industrie: sie hat ihren eigentlichen Ursprung in den Klöstern, die aus den Heilpflanzen ihrer Gärten verschiedenste Arzneizubereitungen fertigten.
Klösterlicher Forschergeist
Um den therapeutisch wirksamen Inhaltsstoffen einer Arzneipflanze auf die Spur zu kommen und ihr so das Geheimnis ihrer Wirksamkeit zu entlocken, stehen uns heute die Analysemethoden der modernen Wissenschaft zur Verfügung. Die Klosterärzte waren hingegen darauf angewiesen, aus jahrelanger und mühevoller Kleinarbeit gewonnene empirische Erkenntnisse zusammenzutragen. Entsprechend konzentrierte sich ein Klostermediziner meist nur auf eine einzige Pflanze, deren Wirkungen und Anwendungsmöglichkeiten er ausführlich studierte und probierte.
Worüber sich heute nur spekulieren lässt, ist, wie sich das »Probieren« der klösterlichen Forscher im einzelnen gestaltete und wie die Eigenschaften einer Heilpflanze am Menschen getestet wurden. Zweifelsohne stellten sich bei der Suche so manche Probleme ein, indem die vermutete Wirkung ausblieb, oder schlimmer noch, sich gar ein unerwünschter Effekt einstellte – Erfahrungswerte alleine gereichen nun mal nicht zum Wirksamkeitsnachweis.
Wertvolles Heilwissen
Das Erbe der Klostermedizin, das an die dreihundert Arzneipflanzen umfasst, auf seinen therapeutischen Nutzen für uns heute zu untersuchen, ist eine überaus lohnende Aufgabe. Denn obwohl die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis der Klosterärzte noch in den Kinderschuhen steckt, zeigt sich bereits, dass so manches davon den Erkenntnissen der heutigen Medizin bemerkenswert nahe liegt. Viele der damals eingesetzten Heilpflanzen sind heute wissenschaftlich rehabilitiert, hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe erforscht und auf ihre therapeutische Wirksamkeit geprüft. Oftmals stimmen auch die Indikationen, bei denen die Medizinen aus der Natur Einsatz fanden, miteinander überein. Etwa bei der Süßholzwurzel, um eines der vielen Exempel anzuführen: in der klösterlichen Materia Medica als Heilmittel gegen »Schmerzen des Leibesinneren«, allen voran Magen- und Darmbeschwerden empfohlen, lautet die offizielle Indikation im 21. Jahrhundert für Drogenauszüge aus Süßholzwurzel »funktionelle und motalitätsbedingte Magen-Darm-Störungen, Gastritis, Magen- und Darmspasmen, Ulcus ventriculi et duodeni«.