Von der Luisen-Heilanstalt zur Angelika Lautenschläger Kinderklinik – Festveranstaltung am 7. und 8. Mai 2010.
Mit sechs Betten in einer gemieteten Zwei-Zimmer-Wohnung in Bergheim gründete der Heidelberger Mediziner Dr. Theodor von Dusch (1824-1890) 1860 die „Kinder-Heilanstalt zu Heidelberg“. 2010 feiert die Heidelberger Kinderklinik ihr 150. Jubiläum und lädt zu einer zweitägigen Festveranstaltung am 7. und 8. Mai 2010 ein.
Waren die Anfänge der Heidelberger Kinderklinik im Vergleich zu anderen deutschen Universitäten mit 33 aufgenommenen Kindern im ersten Jahr eher bescheiden, so ist ihre Entwicklung umso beachtlicher: Mit 150 stationären Betten sowie 6.300 vollstationären und 36.000 ambulanten Fällen pro Jahr ist das Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin heute eine der größten Universitäts-Kinderkliniken in Deutschland.
Heidelberger spendeten für kostenlose Behandlung armer Kinder
Von Anfang an fühlten sich die Heidelberger Bürger mit ihrer neuen Kinder-Heilanstalt, der ersten im Großherzogtum Baden, eng verbunden: Bereits im ersten Jahresbericht findet sich eine beachtliche Liste mit 234 Dauerspendern sowie zahlreichen „Außerordentlichen Beiträgen und Geschenken“. Kranke Kinder fanden hier unabhängig von Konfession oder Herkunft ärztliche Hilfe. Konnten sich die Eltern ein mäßiges Kostgeld nicht leisten, wurden die Kinder unentgeltlich behandelt, was in der ersten Zeit bei mehr als 90 Prozent der Patienten der Fall war. 1864 übernahm Großherzogin Luise von Baden die Schirmherrschaft der Einrichtung, die seitdem den Namen „Luisen-Heilanstalt“ trug.
Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts trat die Heidelberger Kinderklinik erstmals aus dem Schatten anderer deutscher Kinderkliniken heraus: 1902 nahmen von Duschs Nachfolger Oswald Vierordt (1856-1906) und Hermann Lossen (1842-1909) eine Säuglingsstation mit Brutkasten und Milchküche in Betrieb. Damit war die Luisen-Heilanstalt die erste Unterrichtsanstalt in Europa, die eine vollständig ausgestattete Säuglingsstation besaß.
Mit Ernst Moro begann eine Blütezeit der Heidelberger Pädiatrie
Erster außerordentlicher Professor für Kinderheilkunde in Heidelberg wurde 1907 Emil Feer (1864-1955). Ihm folgte 1911 Ernst Moro (1874-1951), der sich bereits in jungen Jahren internationales Ansehen erarbeitet hatte – insbesondere durch den später nach ihm benannten Tuberkulosetest. Er ließ, wieder mit Hilfe der spendenbereiten Heidelberger, die Klinik um eine Etage aufstocken und eine Dachterrasse zur Freilufttherapie bei Tuberkulose anlegen. Mit dem Amtsantritt des begnadeten und begeisterten Klinikers, Wissenschaftlers und akademischen Lehrers begann eine Blütezeit der klinischen Pädiatrie in Heidelberg, die sich trotz schwerster Bedingungen auch nach dem Ersten Weltkrieg fortsetzte.
Im Jahre 1919 wurde Moro der erste Ordinarius für Kinderheilkunde in Heidelberg. Die Luisenheilanstalt war inzwischen mit etwa 200 Betten die größte Kinderklinik im Deutschen Kaiserreich und erreichte daneben beachtliche wissenschaftliche Produktivität. Die Blütezeit der 1920er Jahre endete abrupt mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933. Zahlreiche Mitarbeiter der Luisenheilanstalt emigrierten und auch Moro selbst, verheiratet mit einer Jüdin, hatte unter Drangsalierungen zu leiden. 1936 ließ er sich vorzeitig emeritieren und betrat die Klinik nie wieder.
Dunkles Kapitel in der NS-Zeit
Als sein Nachfolger wurde 1937 Hajo Wilhelm Johann Duken (1889-1954) berufen, seit 1934 Mitglied der SS, Vertrauter Heinrich Himmlers und ein Verfechter der „Rassenhygiene“. 1941 warnten britische Propagandaflugblätter Eltern in Heidelberg davor, ihre Kinder in der Universitäts-Kinderklinik behandeln zu lassen: Nach der NS-Ideologie als „minderwertig“ eingeschätzte Kinder hatten in der Heidelberger Kinderklinik nur eine geringe Überlebenschance. Dokumentiert sind Behandlungsverzicht, Nahrungsentzug und wahrscheinlich auch Maßnahmen aktiver Tötung. Die Zahl der Opfer lässt sich noch nicht abschließend benennen. Johann Duken wurde am 4. April 1945 von den Amerikanern verhaftet.
Nach dem Krieg galt es, einen unbelasteten Direktor für die Luisenklinik zu berufen. Fündig wurde man in dem früheren Königsberger Kinderarzt Philipp Bamberger (1898-1983), der, bekannt für seine anti-nationalsozialistische Haltung, zuvor durch Intrigen der NSDAP für kurze Zeit den Sowjets in die Hände gefallen war. Ihm war es mit großem Engagement gelungen, ein Netz von kinderärztlichen Betreuungsstellen einzurichten und die hohe Säuglingssterblichkeit Ostpreußens während des Krieges auf die Hälfte zu reduzieren.
Ein Skandal erschütterte die Klinik: Kinder wurden mit Syphilis infiziert
Als neu berufener Direktor der Heidelberger Kinderklinik traf Bamberger 1946 chaotische Zustände mit überbelegten Stationen, Ambulanzen und Hörsälen an. Mitten in der mühsamen Reorganisation kam es zu einem folgenschweren Unglück: Ein Blutspender, der schon zu Zeiten Dukens der Klinik sein Blut zur Verfügung gestellt hatte und mehrfach als gesund befunden worden war, infizierte im April mehrere Kinder mit Syphilis. Bamberger wurde vor Gericht gestellt. Obwohl früh offensichtlich wurde, dass den neuen Leiter der Kinderklinik keine Schuld traf, zog sich der Prozess bis zu Bambergers Freispruch über fünf Jahre hin.
Vor allem die unsachliche Berichterstattung in einer sensationslüsternen Presse schädigten während des langen Prozesses das Ansehen der Klinik und ihres beurlaubten Ordinarius schwer. Nach seiner juristischen Rehabilitierung war Bamberger eine glänzende Karriere an der Heidelberger Kinderklinik vergönnt. 1951 wurde der erste Klinikneubau abgeschlossen, 1954 das Moro-Haus, 1956 das Infektionsgebäude und 1965 schließlich das Klinikhochhaus eröffnet.
„PKU – Horst hilft im Nu!“
1967 trat Horst Bickel (1918 – 2000) seine Nachfolge an, der bereits als junger Arzt von sich reden gemacht hatte: Er hatte eine spezielle Diät zur Behandlung der erblichen Stoffwechselerkrankung Phenylketonurie (PKU) entwickelt und mit seinen bahnbrechenden Forschungen maßgeblich zur Frühdiagnose der Erkrankung im Säuglingsalter beigetragen. Die Losung »PKU – Horst hilft im Nu!« zierte einen Straßenbahnwagen, der zu Bickels Zeiten von einem Selbsthilfeverband gestiftet auf dem Gelände der Heidelberger Kinderklinik stand.
Sein Behandlungskonzept eröffnete einen grundsätzlich neuen Weg zur Behandlung vieler weiterer Stoffwechselerkrankungen. Darüber hinaus engagierte sich Horst Bickel für ein Früherkennungsprogramm der PKU, das in Form eines Neugeborenenscreenings 1963 eingeführt und seit 1971 in der gesamten Bundesrepublik üblich ist.