Wer hat das erste Brettspiel erfunden

Brettspiel

Pöppel und Pappe – wie entsteht ein Spiel? Siegeszug von Malefiz, Monopoly und memory. In Deutschland, Österreich und der Schweiz genießt das Spiel vom Krabbelalter bis zum Altersheim den Stellenwert einer Kulturtechnik wie Lesen, Rechnen, Schreiben.

Gesellschaftsspiele zählen zu den ältesten kulturellen Ausdrucksformen der Menschen, noch älter als Schrift- und Lesekultur. In der kindlichen Medienrealität von heute werden allerdings nicht mehr so häufig Pöppel übers Pappe-„Brett“ geschoben und schwungvoll Würfel geworfen wie früher. Jedoch wird auch in Zeiten von Computerspielen, Playstation, PSP und Wii noch eifrig „Mensch ärger Dich“ oder Quartett gespielt.

Erfinder sein darf jedermann

Das Spiele-Erfinden selbst bleibt vor allem in deutschsprachigen Ländern ein beliebtes Hobby. Hunderte, ja Tausende von Vorschlägen landen in den Postkörben der Spielehersteller. Die meisten dieser engagierten Amateure – Studenten, Mütter, Wissenschaftler, Tüftler aller Berufe – bekommen eine Absage. Vorbei die Zeiten, als ein Bäckermeister „Malefiz“ erfand, als ein Schweizer Diplomat die Idee für den Welterfolg „memory“ einschickte (in 50 Jahren 75 Millionen Mal verkauft) und als die Weltwirtschaftskrise einem Amerikaner so viel Langeweile brachte, dass er „Monopoly“ erfand. Profis liefern natürlich ihre eigenen Ideen dazu, unendlich viele Konzepte kommen auch von Spiele-Agenturen, weitere von Merchandising-Agenturen (Fremdproduktvermarktung). Von vielleicht 2000 Entwürfen im Jahr realisiert z. B. der Ravensburger Spieleverlag ca. 30! Die meisten Ideen werden wegen des Déjà-vu-Eindrucks abgelehnt: alles schon mal dagewesen. Tatsächlich gibt es nur wenige klassische Spielprinzipien und Ableitungen.

Spielprinzipien: Taktik, Zufall, Wissen, Glück

Die klassischen Brettspiele wie Schach, Mühle, Dame, Go und auch das erst 1857 in England erfundene Halma hängen fast ausschließlich vom taktischen Geschick der Beteiligten ab. Ihr Spielreiz liegt in ihrer Überschaubarkeit und Chancengleichheit, während andere sehr alte Spiele wie Domino oder Backgammon, dessen Vorläufer „Senet“ als Beigabe in ägyptischen Gräbern gefunden wurde, auch auf Zufälligkeiten gründen. Im 20. Jahrhundert gab es sehr erfolgreiche Ableitungen von „Pachisi“ – „Mensch ärgere Dich nicht“, „Fang den Hut“, „Malefiz“, die inzwischen selbst zu Klassikern geworden sind. Zur Gruppe der Lege- und Sammelspiele zählen neben Domino und Mah Yongg die meisten Kartenspiele und alle Wortspiele wie „Scrabble“, „Typ-Dom“ oder „Pulok“.

Beim Prinzip „Bilder sehen, suchen, finden“ geht es um das Zusammensetzen von Motiven aus Einzelteilen: Tangram, memory, Mosaikspiele, alle Formen und Größen von Puzzles. Die Gruppe der Gänsespiele dominiert das Kinderspielangebot seit dem 19. Jahrhundert; dazu gehören die vielen Leiterspiele, auch die meisten Rennspiele (Rennen und Wetten) wie „Hase und Igel“. Die populärsten Spielformen finden sich unter den Glücksspielen wie Toto, Lotto, Bingo, Roulette. Da hier meist mit Geldeinsätzen gespielt wird, waren diese Spiele verantwortlich für die kritische und spielefeindliche Haltung der abendländisch-humanistischen Gesellschaft seit dem 16. Jahrhundert und für die anfänglich problematische Akzeptanz der im 19. Jahrhundert aufkommenden Familienspiele.

Themen: Wirtschaft, Krimi, Sehnsucht

Neben dem Spielprinzip gibt es thematisch geordnete Gruppen, z. B. Wirtschaftsspiele („Monopoly“, „Börsenspiel“, „Die Siedler von Catan“, im weiteren Sinne auch „Roulette“) oder Krimispiele („Cluedo“, „Scotland Yard“, „Heimlich & Co.“, „Inkognito“). In den vergangenen 25 Jahren hat neben gut ausgearbeiteten Spielprinzipien ein attraktiv gestaltetes Motiv am meisten Chancen, das Herz und das Portemonnaie des Verbrauchers zu öffnen. Ein Titel wie „Alhambra“ (Queen Games) weckt Sehnsüchte nach träumerischen Reisen und exotischen Düften ferner Welten und Zeiten.

Die beste Systematik bietet das Deutsche Spiele-Archiv an, das die Brett- und Tischspiele nach folgenden Gruppen sortiert und diesen Untergruppen zuordnet: Würfel- und Glücksspiele, Legespiele, Denkspiele, Rollenspiele, Geschicklichkeits- und Aktionsspiele, sonstige Spiele.

Kampf um Kinder-Geldbörse

Ist die Spielleidenschaft der Deutschen angesichts deprimierender Sozialstatistiken und schlechter konjunktureller Lage überhaupt noch so ausgeprägt wie früher? Trotz Rezession verzeichnete die deutsche Spielwarenbranche mit 1 Prozent für das Jahr 2008 ein Umsatzplus (Quelle: Eurotoys Handelspanel, Abverkauf Handel an Konsument). Unbestritten in der Hersteller-Branche bleibt der harte Kampf ums Kind, um den Nachwuchs, und zwar nicht um das kleine Kind, dessen Spiele und Puzzles noch von Oma, Opa, Tante, Onkel und Eltern erworben und geschenkt werden, die zumindest emotional eine hohe Bindung an traditionelle Marken mitbringen und diese Produkte unbesehen mit höchstem Vertrauen in die technische und inhaltliche Produktqualität erwerben. „Bei Geschenken für Kinder wird zuletzt gespart“, erläutert der Vorstandssprecher des deutschen Spielemarktführers Ravensburger Karsten Schmidt auf der Spielwarenmesse 2009. „Zudem orientieren sich die Käufer in der Krise eher an Marken, denen sie vertrauen.“

Die echte Herausforderung für Hersteller und Handel stellen Kinder und Jugendliche im Alter ab neun, zehn Jahren dar, die sich von den verunsicherten Großeltern und Paten lieber Bares schenken lassen und ihr Zusammengespartes eigenständig in den Kauf anderer Medien investieren: CD-ROMs, Playstation- und Gameboy-Spiele, PC- und Wii-Spiele, DVDs, abgesehen von Handys und Comics. Klassische Brettspiele werden (im glücklichen Fall) in vielen Familien – genau wie Kinder- und Jugendbücher – zwar durchaus gekauft und genutzt, aber häufig aus dem Haushaltsbudget der Mutter für täglichen Bedarf (Essen, Kleidung, Bildung) bezahlt statt aus dem Topf für Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke, ganz einfach deshalb, weil die Kids sich die Spiele seltener aktiv wünschen, sondern allenfalls wohlwollend noch als zusätzliche angenehme Freizeitbeschäftigung mitnehmen.

Schwarzer Peter für Eltern

Diese Entwicklung wird zwar öffentlich gerne gerügt, muss aber nicht zwangsläufig etwas Schlechtes bedeuten, meinen Pädagogen, die eher eine pragmatische Einstellung zum „Niedergang der Spielkultur“ haben. Gelingt es Eltern nämlich, Spiele in ihre Erziehung und den Familienalltag einzubeziehen, heißt dies: Spiele gehören selbstverständlich zum Leben dazu, so wie Müsli oder Nussnougatcreme am Morgen, Topfschlagen und Torte beim Kindergeburtstag. Allerdings verlieren klassische Gesellschaftsspiele im elektronischen Zeitalter für immer frühere Altersgruppen ihre angestammte Bedeutung als Kommunikationsinstrument der „peer group“, also der gleichaltrigen Freunde und Schulkameraden. Gespielt wird eher mit Eltern, Kindergärtnerinnen, Psychologen (Spieltherapeuten) oder anderen Erwachsenen als allein untereinander.

Sofern man sich einig ist, dass die Tätigkeit des Spielens tatsächlich für die kindliche Entwicklung in verschiedener Hinsicht förderlich (zweckbestimmt!) ist, weist dies den Eltern und der Familie noch eine weitere Verantwortung für eine gelungene Bildung ihres Nachwuchses zu, genau wie dies in der Sprachentwicklung der Fall ist. Neueren Untersuchungen zufolge wird in Deutschland jedes vierte Kind mit Sprachentwicklungsdefiziten eingeschult, darunter eine große Zahl von Nicht-Migranten-Kindern. Radikal gesagt: Die Hauptverantwortung für die geistige und emotionale Entwicklung von Kindern tragen (und nutzen) nach wie vor die Eltern und anderen Erwachsenen im familiären Umfeld. Wenn sie vor dieser Herausforderung stehen, erinnern sich manche an die „alte“ nützliche Kulturtechnik des Brett- und Kartenspiels.

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