Wer erfand das Lied

Lied

Die menschliche Stimme: das älteste Musikinstrument der Welt. Schon der Neandertaler konnte singen, wenn auch nicht so differenziert wie der Homo sapiens. Dass Gesang evolutionär wichtig ist, zeigt seine Existenz.

Spätestens in der Jungsteinzeit brachte sich der Cro-Magnon-Mensch die ersten Flötentöne bei, den eigenen Stimmapparat hatte er bereits früher als Instrument entdeckt. Aus Sicht der heutigen Forschung muss der Homo sapiens sogar schon gesungen haben, bevor er zu sprechen begann, da sonst der angelegte Oktavumfang der menschlichen Stimme keine Berechtigung hätte. Denn um sich verbal mitzuteilen, reicht in jeder Sprache ein Tonumfang von etwa fünf Ganztönen aus.

Klangerzeugung mit Stimmritze, Stimmlippen und Vokaltrakt

An der engsten Stelle des Kehlkopfes, der so genannten Stimmritze, fungieren beim Sprechen und Singen die Stimmlippen als Schwingkörper, die den Atem in stimmhafte Klänge verwandeln. Tiefe Töne entstehen bei entspannten langsam schwingenden Stimmlippen, während deren schnelles hektisches Flattern hohe Töne verursacht. Aber erst die Verbreitung des Klanges aus dem Kehlkopf durch den als Resonanzraum genutzten Vokaltrakt, den Rachen- und Mundraum, verstärkt das dumpfe Geräusch zum deutlich wahrnehmbaren Ton. Bei sehr lautem Gesang oder Geschrei werden noch weitere Körperregionen als Resonanzräume genutzt, die außer für Verstärkung wegen ihrer anatomischen Eigenarten auch für die Klangfarbe einer jeden Stimme verantwortlich sind. Dass jede Stimme einen absoluten Wiedererkennungswert aufweist, liegt an den zahlreichen individuellen Unterschieden der Anatomie, vom Rachenraum bis zur Zunge.

Neandertaler konnten singen, aber noch keine Eckvokale artikulieren

Der Neandertaler konnte schon Töne produzieren, aber nach neueren Erkenntnissen noch keine den heutigen entsprechenden Eckvokale- I, A und U- bilden. Diese exakt abgegrenzten Laute erfand erst der Homo sapiens, weil sich sein Kehlkopf von dem des Neandertalers unterschied und er durch die Ausformung der Kinnpartie eine größere Mundhöhle bekam und die Lippen besser formen konnte. Unsere Eckvokale dienen der Einstimmung des Ohrs auf die Sprache des Gegenübers, so dass im Ergebnis jeder Vokal als genau dieser wiedererkannt wird, egal welcher Mensch ihn ausspricht.

Der Gesang des Neandertalers bestand also aus Mischlauten, die sich für unser Empfinden alle etwa gleich anhören. Summen konnte er allerdings schon wie wir und er sang auch, nur mit wenig differenzierter Aussprache. Nach den Kehlkopfuntersuchungen müssen selbst die männlichen Neandertaler relativ hohe weibliche Stimmen gehabt haben, aber es spricht nichts dagegen, dass sie bereits komplexe Melodien gesungen haben könnten.

Der Sinn des Männergesangs: Frauen mit Kreativität und Stärke beeindrucken

Singen kann bei Männern und Frauen in der Frühzeit unterschiedliche Funktionen erfüllt haben. Der Zweck des urzeitlichen Männergesangs erklärt sich nicht ganz von selbst, aber in irgendeiner Weise muss der Mann durch Gesangskünste seine Fähigkeiten als Ernährer und Genlieferant zum Ausdruck gebracht haben. Musikalische Männer gelten noch heute als besonders attraktiv und erfreuten sich wahrscheinlich schon in der Steinzeit großer Beliebtheit. Wenn man in modernen Zeiten annimmt, dass Frauen sich von geistiger Kreativität angezogen fühlen, kann dieses Argument in der Frühzeit ebenso gegolten haben, denn bereits der damalige Überlebenskampf erforderte nicht nur Kraft, sondern auch Köpfchen. Gesang kann außerdem noch Ausdruck von Stärke gewesen sein, weil ein Mann, der nach all der körperlichen Schwerstarbeit noch Energie für schöngeistige Tätigkeiten erübrigen konnte, besonders jung, gesund und stark sein musste.

Weiblicher Gesang beruhigt Babys

Der Sinn des weiblichen Gesangs lässt sich leicht erklären: Mütter sprachen zu allen Zeiten mit ihren Babys intuitiv in einer hohen, gesangsähnlichen Stimme, die zu Übertreibungen der Sprachmelodie neigt. Aus der natürlichen Mutter-Baby-Sprache entwickelten sich vermutlich schon zu Beginn der Menschheit die in allen Kulturen melodisch ähnlichen Wiegen- und Schlaflieder, die vor allem beruhigend auf den Nachwuchs wirken sollen.

Schließlich weckt Musik Emotionen, die im Gruppengefüge für ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl sorgen. Alle diese Funktionen machen den Gesang als elementare Form der Musik offenbar evolutionär bedeutsam, denn die Natur belohnt Musizierende mit Glücksgefühlen, um sie zu weiterer Kreativität anzuspornen.

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