Die Feindschaft zwischen Einstein und Lenard spiegelt die wissenschaftshistorische und die politische Situation ihrer Zeit wider. Sowohl Albert Einstein (1879-1955) als auch Philipp Lenard (1862-1947) waren herausragende Wissenschaftler, deren fachliche Leistung damals wie heute über jeden Zweifel erhaben ist. Beide erhielten den Physik-Nobelpreis, Lenard 1905 und Einstein 1921. Bei soviel Können und soviel allgemeiner Anerkennung sollte man glauben, dass sich die beiden Physiker zumindest mit kollegialem Respekt begegneten. Stattdessen wurden Sie Feinde. Dieser Artikel beschreibt, wie die Verquickung persönlicher Unzulänglichkeiten, wissenschaftlicher Kontroversen, weltanschaulicher Dissonanzen und politischer Verstrickungen zu diesem Zerwürfnis führten.
Am Anfang war der direkte Kontakt mit Respekt und Anerkennung (1905)
In seiner berühmten Arbeit über den Fotoeffekt, für die er 1921 den Nobelpreis erhielt, erwähnt Einstein auch den Namen Lenards. Er lässt seinen hohen Respekt für diesen Wissenschaftler erkennen: „Die übliche Auffassung, daß die Energie des Lichtes über den durchstrahlten Raum verteilt sei, findet bei dem Versuch, die lichtelektrischen Erscheinungen zu erklären, besonders große Schwierigkeiten, welche in einer bahnbrechenden Arbeit von Herrn Lenard dargelegt sind.“ (Schönbeck, Seite 4) Der derart Gelobte bedankte sich artig, indem er Einstein eine seiner neuesten Arbeiten zusandte. Dieser antwortete postwendend mit den folgenden Zeilen: „Hoch verehrter Herr Professor! Ich danke Ihnen herzlich für die mir zugesandte Arbeit, die ich mit demselben Gefühl der Bewunderung studierte wie Ihre früheren Arbeiten…“ (Schönbeck, Seite 4)
Ein indirekter Kontakt offenbarte die ersten Dissonanzen (1909-1911)
Einen indirekten Kontakt zwischen Lenard und Einstein gab es durch den jungen Physiker Johann Jakob Laub (1882-1962). Laub setzte sich als einer der ersten Physiker mit der neuen Relativitätstheorie intensiv auseinander und wurde dadurch zum Freund Einsteins. 1908 wurde Laub Assistent bei Philipp Lenard in Heidelberg. In einem Brief an Laub sprach Einstein erneut voller Hochachtung über Lenard: „Und doch müssen Sie sich glücklich preisen, dass Sie bei Lenard sind…Er ist nicht nur ein geschickter Meister in seiner Zunft, sondern wirklich ein Genie.“ (Schönbeck, Seite 9) Wie Laub berichtete, schätzte auch Lenard die wissenschaftliche Qualität Einsteins hoch ein. Besonders Einsteins Arbeit zum lichtelektrischen Effekt hatte es ihm angetan, aber auch gegen die Relativitätstheorie hatte Lenard keinerlei Vorurteile. Dennoch zeigten sich nach und nach schwerwiegende Unterschiede im wissenschaftlichen Weltbild Lenards und Einsteins.
Das anschaulich mechanistische Denken gegen die abstrakte mathematische Axiomatik
Um diesen Streit besser verstehen zu können, sollen hier zwei andere Physiker vorgestellt werden. James Clerk Maxwell (1831-1879) und Paul Dirac (1902-1984). Beide Physiker hatten mathematische Gleichungen entdeckt, die jeweils für die Physik von enormer Bedeutung waren. Die Maxwell-Gleichungen führten zur Entdeckung der elektro-magnetischen Strahlung, die Dirac-Gleichung zur Entdeckung der Antimaterie. Aber die hinter den Gleichungen steckende jeweilige Weltanschauung war ganz anders. Maxwell ging davon aus, dass die mathematischen Gleichungen physikalisch begründet werden müssen. „Physikalische Begründung“ hieß für ihn im Einklang mit dem damaligen Zeitgeist, ein mechanisches Modell zu finden. So dachte sich Maxwell einen Äther, dessen Materie-Teilchen wie in einer Flüssigkeit Wirbel bilden. Bei Dirac war von der mechanistischen Begründung seiner Gleichung keine Rede mehr. Der Sinn der Gleichung war für ihn die Gleichung selbst. Sie stand für sich alleine und bedurfte keiner mechanistisch anschaulichen Begründung. Etwa einhundert Jahre sind von Maxwell bis Dirac vergangen. In der Zwischenzeit wirkten Lenard und Einstein. Lenard versuchte verzweifelt, das mechanistische anschauliche Denken Maxwells zu bewahren, Einstein war führend auf dem Weg der Physik zu einer abstrakten mathematischen Axiomatik ohne mechanistische Begründung.
Der Ton wird schärfer
Lenard beauftragte Laub damit, die Dichte des Äthers experimentell zu bestimmen, obwohl klar war, dass Laub als Anhänger Einsteins nicht an die Existenz des Äthers glaubte. Laub beklagte bei Einstein sein Leid und Einstein zeigte sich empört über Lenard: „Lenard muß aber in vielen Dingen „sehr schief gewickelt“ sein. Sein Vortrag von neulich über diese abstruse Ätherei erscheint mir fast infantil. Ferner die Untersuchung, die er Ihnen abgenötigt hat…grenzt sehr ans Lächerliche. Es tut mir leid, dass Sie mit solchen Dummheiten ihre Zeit verbringen müssen.“ (Schönbeck, Seite 14) Es ist wohl so, dass dieser scharfe Ton von Einstein in die Debatte eingebracht worden ist. Lenard hatte sich bis dahin eher neutral verhalten, hatte keinerlei Vorbehalte gegen die neue Relativitätstheorie, war aber der Ansicht, dass die Entscheidung für oder gegen den Äther nur experimentell herbeigeführt werden kann.
Der Erste Weltkrieg radikalisierte die Menschen
Zwischen 1910 und 1920 liegt der Erste Weltkrieg. Weltanschauliche und politische Ansichten der Menschen radikalisierten sich. So auch bei Einstein und Lenard. Während Einstein sich in seinem Kosmopolitismus bestätigt sah, verwandelte sich der eher gemäßigte Nationalist Lenard in einen radikalen. Auch hinsichtlich der wissenschaftlichen Weltanschauung sind bei Lenard Radikalisierungen festzustellen. So greift er die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins offen an. Er ist nur bereit, ihr eine eingeschränkte Bedeutung zuzugestehen. Aber immer noch hält sich Lenard mit persönlichen Angriffen gegen Einstein zurück. Noch vermengt er nicht seinen Antisemitismus mit seiner wissenschaftlichen Kritik.
Die Kampagne gegen Einstein und Einsteins Fehler (1920)
Mit Einsteins wachsender Popularität wuchs auch die Kritik und der Hass seiner Gegner. Mag sein, dass Lenard mit der Zeit einfersüchtig wurde auf die seiner Meinung übertriebene Berühmtheit Einsteins. Es konnte auch nicht ausbleiben, dass die radikalen Gegner der Relativitätstheorie Lenard als Kronzeugen benutzten. Die Katastrophe ereignete sich auf einer solchen Anti-Einstein-Veranstaltung. Der Leiter dieser Sitzung, ein Mann namens Weyland, war nach Meinung vieler Zeitgenossen ein Scharlatan und Blender, führte aber Lenard als Kronzeugen für seine Kampagne an, obwohl er dazu von Lenard nicht autorisiert worden war. Einstein wohnte dieser Sitzung bei und war darüber so empört, dass er nicht mehr zwischen Weyland und Lenard unterscheiden wollte. Er veröffentliche einen Artikel, in welchem er Lenard schwer beleidigte, indem er dessen Kompetenz bezweifelte. Einstein hat diese Veröffentlichung später selbst als eine Dummheit bezeichnet und versucht, seinen Fehler gut zu machen. Aber auch die verzweifelten Versuche der anderen Physiker, Lenard versöhnlich zu stimmen, waren vergeblich. Er isolierte sich selbst im Kreise der Physiker und wurde zum radikalen Nationalsozialisten und Antisemiten. Einstein war für ihn jetzt „der Jude“. Seine Hoffnung, mit Hilfe der Nationalsozialisten seine Ansichten in der Physik durchsetzen zu können, erfüllten sich nicht. Die Machthaber unterstützten ihn zwar ideologisch, aber nicht praktisch.