Kepler ist einer der bedeutendsten Wissenschaftler an der Schwelle zur Neuzeit. Dennoch sind bei ihm Astronomie, Musik und Religion unentwirrbar verwoben. Jeder kennt die schüsselförmigen Satelliten-Antennen für den Fernsehempfang. Oft sind sie auf einen bestimmten Punkt des Himmels ausgerichtet. Dieser Punkt entspricht der Position des Satelliten. Bei diesem handelt es sich um einen sogenannten „geostationären Satelliten“, der von der Erde aus betrachtet im Idealfall immer dieselbe Stellung am Himmel einnimmt. Aus diesem Grunde kann er von der Erde aus leicht angepeilt werden und – was besonders wichtig ist – die Ausrichtung der Antenne muss nicht mehr verändert werden. Beispiele für solche Fernsehsatelliten sind „Astra“ und „Eutelsat“. Alle geostationären Satelliten müssen dieselbe Entfernung von der Erdoberfläche haben, nämlich ungefähr 35.800 Kilometer über der Erdoberfläche oberhalb des Äquators. Deswegen ist der Platz in dieser Umlaufbahn knapp und entsprechend kostbar. Aber warum müssen diese Satelliten dieselbe Entfernung haben?
Das Dritte Kepler-Gesetz gehört zu den grundlegenden Prinzipien der Physik
Der Grund dafür ist das Dritte Kepler-Gesetz in der verallgemeinerten Form Newtons. Es besagt, dass Umlaufzeit und Entfernung eines Satelliten (Planet, Mond, künstlicher Satellit) in Bezug auf den Zentralkörper in einem bestimmten mathematischen Verhältnis stehen müssen. Weil der Satellit geostationär sein soll, muss die Umlaufzeit 24 Stunden betragen. Konsequenterweise ist damit auch die Entfernung festgelegt. Die enorme Bedeutung dieses Gesetzes für die Astronomie und die Physik liegt nicht nur in den praktischen Anwendungen, sondern vor allem auch darin, dass Isaac Newton auf dessen Grundlage zur Entdeckung seines Gravitationsgesetzes geführt wurde. Hinzuzufügen ist, dass Kepler sein Prinzip ursprünglich nur auf die Planeten als Satelliten und die Sonne als Zentralkörper bezogen hat, während Newton es für beliebige Zentralkörper-Satelliten-Systeme verallgemeinern konnte. Die naturwissenschaftliche Relevanz dieser Entdeckung kann also gar nicht überschätzt werden.
Johannes Kepler repräsentiert den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit
Johannes Kepler ( 1571 – 1630 ) hat das Dritte Gesetz im Jahre 1619 in seinem Buch „Hamonices mundi“ veröffentlicht. Der deutsche Titel lautet „Welt-Harmonik“. Wenn man aber Keplers Buch durchliest, dann erlebt man eine Überraschung. Die moderne Formulierung des Dritten Gesetzes sucht der Leser vergeblich. Stattdessen findet man ein Sammelsurium geometrischer, numerologischer, astronomischer, astrologischer, metaphysischer, musikalischer und theologischer Überlegungen. Das berühmte Dritte Gesetz ist in diesem Mischmasch gut verborgen und es gehört zu den großen Leistungen der Nachfolger Keplers, dessen eigentliche Erkenntnisse in diesem Wust von Überlegungen entdeckt zu haben. Dem Leser der „Welt-Harmonik“ wird bald klar, dass Kepler kein Wissenschaftler im modernen Sinne war. Stattdessen offenbart sich ein Denker, der tief in die Überlegungen seiner antiken und mittelalterlichen Vorgänger verstrickt war. Dennoch gilt er als einer der bedeutendsten neuzeitlichen Wissenschaftler, weil er trotz seiner Spekulationen bereit war, das exakte Datenmaterial anzuerkennen. In einer unentwirrbaren Vermischung dieser beiden Aspekte seiner Persönlichkeit gelangen ihm in jahrzehntelanger Arbeit unsterbliche Entdeckungen. Kepler war offensichtlich ein Mann des Überganges.
Kepler formuliert sein Drittes Gesetz als musikalische Harmonielehre
Die moderne Formulierung des Dritten Kepler-Gesetzes lautet: Die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen der mittleren Sonnenentfernungen (Simonyi, Seite 194) Eine solche einfache Formulierung findet man bei Kepler leider nicht. Stattdessen kleidet er seine Entdeckungen in das Gewand einer musikalischen Harmonielehre, wie sie in der Antike von den Pythagoreern entwickelt worden ist. Pythagoras soll diese Harmonielehre erarbeitet haben. Er stellte fest, dass zwei Saiten eines Musikinstrumentes miteinander harmonieren, wenn deren Längen im Verhältnis 1:2 stehen. Er nannte dieses Zahlen-Verhältnis eine Oktave. Stehen die Seitenlängen im Verhältnis 2:3 hat man eine Quinte. Beim Verhältnis 3:4 spricht man von einer Quarte. Auf der Basis dieser musikalischen Harmonielehre entwickelte sich die Zahlenmystik der Pythagoreer und darauf aufbauend die Mathematik der Griechen. Kepler versuchte nun in den Bewegungsgrößen der Planeten solche musikalischen Harmonien zu entdecken, wobei für ihn unklar war, welche Größen der Bewegung er miteinander vergleichen sollte. Besonders am Herzen lag ihm dabei, die Neuerungen der Musiktheorie des 16. Jahrhunderts zu berücksichtigen. Dazu gehörte vor allem die Einbeziehung der großen und der kleinen Terz in die Sphärenmusik der Planeten. Nach eigenen Angaben hat Kepler über 20 Jahre vergeblich nach solchen musikalischen Harmonien in der Bewegung der Planeten gesucht. Dann hat er sie endlich gefunden. Er musste die Umlaufzeiten und die mittleren Sonnenentfernungen in Beziehung setzen und fand, dass bei allen Planeten der Quotient aus dem Quadrat der Umlaufzeit und der dritten Potenz der mittleren Sonnenentfernung gleich war.
Kepler war überzeugt, dass Gott den Kosmos und die Menschen nach seinem Bild erschaffen hat
Wenn man Keplers Welt-Harmonik liest, dann wundert man sich, wie selbstverständlich er voraussetzt, dass die Planeten eine Sphärenmusik aufführen. Obwohl er lange Zeit vergeblich danach gesucht hat, verliert er doch nie seinen Mut und seine Zuversicht. Wenn er glaubt, Harmonien entdeckt zu haben, scheut er sicht nicht, wie ein Kapellmeister den Planeten ihre musikalischen Rollen zuzuteilen. So lautet die Überschrift eines Kapitels in der Welt-Harmonik folgendermaßen: „Welche Planeten in den himmlischen Harmonien den Diskant, den Alt, den Tenor und den Baß vertreten.“ ( Kepler, Seite 315) Es ist offensichtlich, dass er eine Reihe von philosophischen und religiösen Vorstellungen voraussetzt, von denen er im Prinzip nicht abgeht, obwohl er im Detail durchaus bereit ist, seine Ideen zu korrigieren. Zu diesen Prämissen zählen: die Harmonielehre der Pythagoreer, die platonische Idee von dem mathematisch inspirierten Demiurgen des Kosmos, die Existenz des christlichen Schöpfergottes. Nichts kann Keplers Religiosität besser auszudrücken als das Gebet, das er am Ende des V. Buches seiner Welt-Harmonik formuliert: “ O Du, der Du durch das Licht der Natur das Verlangen in uns mehrest nach dem Licht Deiner Gnade, um uns durch dieses zum Licht Deiner Herrlichkeit zu geleiten, ich sage Dir Dank, Schöpfer, Gott, weil Du mir Freude gegeben hast an dem, was Du gemacht hast, und ich frohlocke über die Werke Deiner Hände.“ (Kepler, Seite 350 ) Das Faszinierende an Keplers Welt-Harmonik ist die Einsicht, dass ein Mensch hervorragende wissenschaftliche Entdeckungen auf der Basis von Annahmen machen kann, die auf keinen Fall wissenschaftlich genannt zu werden verdienen.