Marx wollte keine ideale Gesellschaft konstruieren, sondern die reale Gesellschaft studieren. Er fand dabei nichts Wirklicheres als Lohnarbeit und Kapital.
Karl Marx wurde 1818 in Trier geboren. Gestorben ist er 64-jährig im Londoner Exil. Kurz zuvor hatte er den Tod seiner Frau Jenny zu betrauern. Die Familie war finanziell kräftig von dem Unternehmersohn Friedrich Engels unterstützt worden, der seinem Freund auch geistig so nahe stand, dass beider Werke in einer Marx-Engels-Gesamtausgabe vereinigt sind.
Das Wesen der Arbeit
Marx war ein Gesellschaftstheoretiker, der es bei der Theorie nicht belassen, sondern seine radikalen Ideen politisch umsetzen wollte. Der Schlüsselbegriff seiner in Paris entworfenen Sozialphilosophie, die den Idealisten Hegel (1770-1831) „vom Kopf auf die Füße“ stellte, war der Begriff der Arbeit. Danach ist der arbeitende Mensch der sich selbst verwirklichende. Die Selbstverwirklichung des Menschen ist somit die Vergegenständlichung, die Entäußerung seines Wesens in den Produkten der Arbeit. Die menschliche Arbeit ist nach Marx dadurch ausgezeichnet, dass sie nicht nur sinnlich, sondern vor allem geistig (statt instinktiv) vollzogen wird. Das gilt wohlgemerkt nicht nur für die sogenannte geistige Arbeit der „Kulturschaffenden“, sondern für alle „Werktätigen“: Handarbeit und Kopfarbeit sind im Sinne des Marxschen Arbeitsbegriffs nicht nur gleichrangig, sondern ein und dasselbe: Der ganze Mensch ist auf jegliche Weise der hier gemeinten Arbeit aktiv.
Arbeit im Kapitalismus
Derart ideale Arbeitsverhältnisse fanden die gleichgesinnten Freunde im Großen und Ganzen der Gesellschaft ihrer Zeit jedoch nicht vor. So beschrieb Engels mit der „Lage der arbeitenden Klasse in England“ einen wahrlich elenden Zustand: Die Arbeit war dem Menschen wesensfremd geworden. Und zwar in erster Linie nicht dadurch, dass die im Industriezeitalter weit getriebene Arbeitsteilung dem einzelnen Arbeiter meist nur noch eine Teilarbeit übrig ließ, die ihn vom Gesamtprozess der Produktion entfremdete. Nicht die komplexer gewordene Arbeitswelt also war für die beiden durchaus fortschrittsfreundlichen Denker die „Wurzel des Übels“, sondern eine dem Produktionsprozess äußerliche Differenz: die Spaltung der Gesellschaft in finanziell abhängige Lohnarbeiter (Proletarier) und finanzkräftige Eigentümer der Produktionsmittel (Kapitalisten), kurz: eine die Grundbedürfnisse der Menschen überfremdende Geldwirtschaft.
Die Wirklichkeit des Geldes
Geld vermag unmittelbar kein Grundbedürfnis zu stillen. Es ist kein Gebrauchswert, sondern ein reiner Tauschwert. Darin liegt aber zugleich seine ungeheure Anziehungskraft: Mittels des Geldes können beliebige Bedürfnisse befriedigt werden, denn es ist ein Tauschmittel für schlechterdings alles andere. So kommt es, dass das Geldvermögen jedem anderen menschlichen Vermögen den Schneid abkauft. Im Grunde der Arbeitskraft, denn diese ist der Inbegriff des konkreten menschlichen Vermögens. Davon ist das Geld eben eine bloße Abstraktion, aber mit außerordentlich großer Auswirkung und damit wirklichster Wirklichkeit. Denn das Wirklichste ist, was am stärksten wirkt.
Die kommunistische Alternative
Das Geld ist ähnlich abstrakt und zugleich wirkmächtig wie die politische Idee, die Marx und Engels als Kritiker der kapitalistischen Wirklichkeit propagierten: die Idee des Kommunismus. Der Kommunismus steht bei seinen „wissenschaftlichen“ Urhebern weniger für die Vereinigung der „Proletarier aller Länder“ (Kommunistisches Manifest) als für die Wiedervereinigung von Mensch und Arbeit, für die Wiederherstellung des menschlichen Arbeits-Wesens, das in der idealisierten Vergangenheit eines Ur-Kommunismus schon einmal wirklich gewesen sein soll. Der Glaube unserer durchaus zweideutigen („dialektischen“) Materialisten an diese „eigentliche“ Wirklichkeit schürte dann den Willen zu einer entsprechenden Weltveränderung, zu einer so leidvollen wie letztlich erfolglosen, weil viel zu idealistisch angesetzten Revolution. Sie ist als Kandidatin für eine dem menschlich-allzumenschlichen Menschen gerecht werdende Alternative zum Materialismus des „schnöden Mammons“ nachhaltig ausgeschieden – eine so missliche Sache das Leben unter dessen Weltherrschaft auch bleiben mag.