Der Nachkriegsbedarf an Automobilen brachte viele kleine Industriebetriebe dazu, eigene Automodelle zu bauen. Nicht alle diese Manufakturen überlebten.
Stuttgart-Untertürkheim, Zuffenhausen, Ingolstadt, Rüsselsheim – noch heute weiß man, welche Karossen gemeint sind, wenn man die Standorte der Stammwerke traditioneller deutscher Automobilbauer nennt. Doch stimmt es wirklich, dass die Deutschlandkarte des automobilen Einfallsreichtums lediglich von Bayern bis nach Wolfsburg reichte und nördlich von Volkswagen schon immer nur Boote gebaut wurden?! Nicht ganz, denn nach dem zweiten Weltkrieg gab es auch unter geschäftstüchtigen Hanseaten solche, die auf die wachsende Nachkriegsnachfrage nach motorisierten Fahrzeugen reagierten. Einer von ihnen war Dr. Alpers, der in der Wendenstraße in Hamburg-Hammerbrook zunächst Motordraisinen für die Reichsbahn baute, doch der Krieg legte schließlich die Produktion lahm. Allerdings nur, bis ein Lübecker Professor auf die Idee kam, ein Automobil bei Dr. Alpers zu bestellen.
Das vorläufige Ende der Draisinenbau Dr. Alpers & Co. in Hammerbrook
Karl Freiherr von Drais erfand Anfang des 19. Jahrhunderts in Süddeutschland die Draisine – ein hölzernes Laufzweirad, von dem die moderne Fahrradform sowie die heutigen Kinderlaufräder abstammen. Doch der Name seiner Erfindung verbreitete sich in größerem Maßstab, denn auch die durch Muskelkraft betriebenen Dienstfahrzeuge im Eisenbahnbetrieb, von denen Karl Drais 1842 ebenfalls ein eigenes Exemplar entwarf, trugen seinen Namen. Motorisierte Varianten, den Schienenbussen sehr ähnlich, wurden bis ins 20. Jahrhundert bei der »Gesellschaft für Eisenbahn-Draisinen mbH« in dem von Kanälen durchzogenen Quartier Hamburg-Hammerbrook gebaut. Doch in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 zerbombten die Alliierten im Rahmen der »Operation Gomorrha« den zentral gelegenen Stadtteil und seine Industrie. Einwohner gab es danach kaum noch, und auch der Rückbau der schwer beschädigten U-Bahntrasse der Hamburg-Bergedorfer-Eisenbahn sprach nicht gerade für den Standort Hammerbrook und seine Zukunft. Doch der Belegschaft von 160 Arbeitern des seit 1935 unter dem Namen »Draisinenbau Dr. Alpers & Co. KG« firmierenden Werkes kam zugute, dass nach dem Krieg kaum zivile Kraftfahrzeuge verfügbar waren – was auch dem Lübecker Professor Möbius ungut aufgefallen war. Und der hatte recht exakte Vorstellungen von seinem neuen Auto, die er Anfang 1947 in die Wendenstraße nach Hammerbrook trug.
Der Doktor, der Professor und sein erstes Auto aus der Automobil-Manufaktur Wendax
Es sollte ein kleines Cabrio mit Verdeck sein, angetrieben von einem 150 ccm Motorrad-Zweitakter. Dr. Alpers erinnerte sich an die Produktion eines Eil-Lastendreirads – mit einem Motor der norddeutschen ILO-Werke, der schon vor dem Krieg in Motorrädern und Kleinlastern verbaut wurde – welches unter seinem Vorgänger-Geschäftsführer Freund in den 1930er Jahren für Lieferdienste und Zeitungsboten konstruiert wurde. Tatsächlich stellte Dr. Alpers nach halbjähriger Bauzeit ein Fahrzeug auf drei Räder, von denen allerdings nur das hintere angetrieben wurde. Gute Fahreigenschaften oder gar roadstergemäße Leistungen waren damit kaum möglich, doch ein Einstieg in die Autoproduktion der taufrischen Automobil-Manufaktur »Wendax Fahrzeugbau GmbH« auf dem Kanalgrundstück in der Wendenstraße 151 war gemacht. Auf der Hannoverschen Exportmesse 1949 stellte Dr. Alpers den auf Professor Möbius` Prototyp basierenden Aero WS 400 vor, allerdings mit dem veralteten, 11 PS schwachen ILO-Zweitakter motorisiert. Die ähnlich schlechten Fahreigenschaften taugten nicht gerade für Hamburger Rennstrecken. Von diesem „Roadster“ wurden lediglich 19 Stück per Hand gefertigt. Weiterhin sollte der Wendax Typ WL 1200 als 1,3t-Lastwagen mit Frontantrieb für 7.764 D-Mark auf den ausgehungerten Nachkriegsmarkt gebracht werden, ausgestattet mit einem VW-Käfer-Motor aus Wehrmachts-Beständen. Zwar waren bereits Prospekte gedruckt, doch zur Serienproduktion des WL 1200 Lastwagens kam es nicht, da Volkswagen die eigene Lkw-Entwicklung vorantrieb und keine Motoren an andere Hersteller lieferte.
Rasantes Wachstum und das jähe Ende der Hamburger Automarke Wendax
Doch neben dem geplanten Lkw war eine Ausweitung der Wendax Modellpalette für den Personenverkehr geplant, denn kleine Pkw für den Privatgebrauch waren nach wie vor kaum lieferbar. Auf der Messe in Hannover ließ sich Adolf Alpers von der Premiere des Borgwart Hansa 1500 inspirieren und nahm ebenfalls mit dem WS 750 eine viertürige Limousine ins Programm, die nach wie vor mit ILO-Zweizylindern, aber nun mit angetriebener Vorderachse, 25 PS und einer Höchstgeschwindigkeit um konkurrenzfähige 100 km/h Käufer finden sollte. Das gelang auch mit einem Kaufpreis von 5.750 D-Mark für die ersten 55 Exemplare, die unter Hochdruck in der Wendenstraße montiert wurden – in den 1950ern war die schwungvolle Stufenheck-Limousine besonders als Taxi beliebt, auch wegen ihrer gegenläufig öffnenden Türen. Allerdings gab es auf Grund der kurzen Entwicklungsphasen, schlechter Verarbeitung und fehlender Langzeittests zahlreiche Reklamationen an allen vertriebenen Modellen, so dass neben Kulanzreparaturen kaum noch Zeit für den eigentlichen Autobau und die Weiterentwicklung der Modelle blieb. Lieferzeiten konnten nicht eingehalten und Rückforderungen geleisteter Anzahlungen nicht bedient werden, so dass bereits Ende 1951 Konkurs angemeldet werden musste – letzte Exemplare der Marke Wendax wurden aber noch bis ins Folgejahr ausgeliefert.
Zurück zur Schiene: Draisinenbau Dr. Alpers & Co. wurde fortgesetzt
Doch Dr. Alpers hatte sich als bodenständiger Hanseat 1949 klugerweise dafür entschieden, das erneut Fahrt aufnehmende Draisinengeschäft parallel fortzusetzen. Das Werk in Hamburg-Hammerbrook baute noch im Jahr 1952 den KLV 10.4001, einen Bereisungswagen für die Schiene mit einem 58 PS Deutz-Dieselmotor, der die Führungskräfte der Bundesbahn-Direktion Hamburg-Altona zu den Regionalbahnhöfen des Direktionsbezirkes brachte. So konnte sich Hamburg-Hammerbrook zwar nicht nachhaltig in die Reihe der zukunftsträchtigen Automanufakturen wie in Stuttgart-Untertürkheim, Zuffenhausen oder Ingolstadt einreihen. Doch auf knatternde Motoren und den Geruch von heißem Gummi muss dieser Stadtteil Hamburgs auch heute nicht ganz verzichten.