Wer entdeckte den Planeten Neptun

Neptune

Eigentlich ist er der blaue Planet: Neptun, und nicht die Erde. 1846 wurde er erstmals am Himmel gesichtet – seine Entdeckung war spannend wie ein Krimi. Fünf Tage hatte der Brief aus Paris gebraucht, der am Mittwoch, dem 23. 9. 1846, in Berlin eintraf – eine für die damalige Zeit respektable Leistung. Abgeschickt hatte ihn der französische Astronom Urbain Le Verrier (1811 – 1877), gerichtet war er an Johann Gottfried Galle. Galle (1812 – 1910) hatte zuvor seine Doktorarbeit an Le Verrier geschickt, die sich mit dem dänischen Astronomen Ole Römer befasste. Römer hatte 1676 mit einfachsten Mitteln, aber einer genialen Idee, erstmals die Lichtgeschwindigkeit bestimmt – vor ihm war niemand auf die Idee gekommen, das Licht überhaupt eine Geschwindigkeit haben könnte. Le Verrier bedankte sich für die Zusendung und schloss mit einer Bitte: ob er nicht „einige Augenblicke der Durchforstung einer Region des Himmels widmen“ könne, denn dort gebe es möglicherweise einen Planeten zu entdecken.

Da waren’s nur noch sechs

Seit dem Altertum bis hin zu Kopernikus kannte man sieben Planeten: Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, dazu den Mond und die Sonne, die ebenfalls mitgezählt wurden – schließlich drehten sich, wie man glaubte, alle diese Himmelskörper um die Erde als Mittelpunkt. Daraus leitete man ab, dass die Zahl „7“ eine besondere, eine heilige Zahl sei. Dann kam Nikolaus Kopernikus und stieß im Jahre 1514 die Erde von ihrem Thron: nicht mehr sie, sondern die Sonne stand im Mittelpunkt, auch der Mond verlor seinen Status, die Erde wurde zu einem ganz gewöhnlichen Planeten, davon gab es nun sechs.

Bis 1781. Am 13. März 1781 gegen halbzehn Uhr abends nämlich richtete der aus Hannover stammende Musiker und Hobbyastronom Wilhelm Herschel sein selbstgebautes Spiegelteleskop an den Himmel. Im Sternbild Zwillinge entdeckte er ein kleines Scheibchen, das nicht in den Sternkarten enthalten war. Und dieses Scheibchen bewegte sich vor dem Hintergrund der Fixsterne. Herschel dachte zunächst an einen Kometen, doch Berechnungen der Umlaufbahn zeigten schnell, dass es sich um einen Planeten handelte – Herschel hatte auf einen Schlag die Größe des Sonnensystems verdoppelt, er hatte den Planeten Uranus entdeckt, die Zahl der Planeten stieg wieder auf sieben. Sechs Jahre später entdeckte er auch die ersten beiden – von mittlerweile 27 – Uranusmonden, Titania und Oberon.

Uranus spielt falsch – aber warum?

Alle Himmelsereignisse – ob Planetenbahnen, Sonnen- und Mondfinsternisse oder die Venusdurchgänge vom Juni 2012 und Dezember 2117 – lassen sich normalerweise auf Jahrhunderte oder gar Jahrtausende vorausberechnen, dafür sorgen die ehernen Gesetze der Himmelsmechanik, die Johannes Kepler in den Jahren 1609 und 1619 entdeckte. Doch Uranus wollte sich nicht an die Keplerschen Gesetze halten; mal lief er zu schnell, mal zu langsam – wie eine Uhr, die mal vor-, mal nachgeht.

So hatte der Direktor der Pariser Sternwarte, Alexis Bouvard, in mühevoller Kleinarbeit – Computer gab’s ja noch nicht – die Uranusbahn vorausberechnet, doch die Abweichungen zu seinem Standort wurden immer größer. Andere Astronomen rechneten nach, konnten aber keine Fehler finden. Langsam dämmerte einigen Astronomen: Sollte für die Bahnstörungen etwa eine weiterer, ein noch unbekannter achter Planet verantwortlich sein, der mit seiner Schwerkraft an Uranus zerrte?

Le Verrier und Adams berechnen den Standort des gesuchten Planeten – an ihrem Schreibtisch

Unabhängig voneinander kamen Urbain Le Verrier, der eigentlich Mathematiker war, und der englische Astronomiestudent John Coach Adams auf die Idee, dass man aus den Störungen die Position de unbekannten Planeten berechnen könne. Beide machten sich, ohne voneinander zu wissen, an die Arbeit.

Am 1. Juni und noch einmal detaillierter am 31. August 1846 stellte Le Verrier seine Berechnungen vor der Pariser Akademie der Wissenschaften vor. „Hypothetischer Planet außerhalb der Uranusbahn“, so der Titel seines Vortrags. Nur auf diese Weise ließen sich die Bahnstörungen erklären. Der Planet müsse 39 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt, 32 mal schwerer als die Erde sein und die Sonne in 144 Jahren umkreisen. (Eine Astronomische Einheit ist die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne.) Mehr noch, er müsse sich ziemlich genau in der Ekliptik – der Ebene der Erdbahn – befinden, eine Helligkeit von 9m haben und stehe im September bei 326° ekliptikaler Länge im Sternbild Wassermann. Dann bat er die anwesenden Astronomen darum, nach diesem Planeten zu suchen.

Hochmut kommt vor dem Fall, oder: Wie verpasse ich den Weltruhm?

Doch die dachten gar nicht daran. Man applaudierte höflich über die interessanten Gedankengänge des Herrn Le Verrier, sich auf die nervtötende und zeitraubende Suche zu machen, das mochte niemand – schließlich gibt es Tausende von Himmelskörpern 9. Größe, auch in dem Gebiet, das Le Verrier genannt hatte. Da gab es am Himmel ja nun wahrlich interessantere Erscheinungen. Adams in England erging es freilich nicht besser: Der informierte den Leiter der Sternwarte in Cambridge und den Direktor des berühmten Observatoriums in Greenwich, der gleichzeitig Königlicher Astronom war. Aber die Berechnungen eines unbekannten Studenten ernst nehmen? Naja, vielleicht nächstes Jahr, wenn wir mal Zeit haben.

In dieser Situation erinnerte sich Le Verrier an Galle. Der war kein ganz Unbekannter in der Astronomenszene und galt als hervorragender Beobachter, hatte er doch zuvor schon den innersten Ring des Saturn und drei Kometen entdeckt. Und Le Verrier wusste auch, dass in Berlin ein Teleskop aus der Werkstatt Joseph von Fraunhofers stand – die galten damals als die besten der Welt. Gut, dass er Galle wegen der Überlassung seiner Doktorarbeit ohnehin noch einen Brief schuldete.

Innerhalb einer Stunde fand Galle den neuen Planten – nur 1° vom vorhergesagten Standort entfernt

So angesehen Galle auch bereits war: wenn er ein Teleskop benutzen wollte, musste er zuvor den Direktor der Sternwarte, Johann Franz Encke, fragen. Der feierte zufällig an diesem 23. September seinen 55. Geburtstag, die Stimmung war gelöst, und Galle konnte mit der Suche beginnen. Dabei half ihm der Student Heinrich d’Arrest. Damals erschienen gerade die Berliner Akademischen Sternkarten, und eine solche Sternkarte des betreffenden Gebiets war kurz zuvor von Carl Bremiker angefertigt worden, aber noch nicht im Handel erhältlich. Mit dieser Karte durchmusterten beide des Gebiet: Galle sagte die Sterne an, d’Arrest verglich sie mit der Karte.

Plötzlich rief d’Arrest aus „Dieser Stern ist nicht auf der Karte!“ Sofort eilte Encke herbei, die Position des neuen Himmelskörpers wurde wieder und wieder vermessen, um sicher zu sein, das kein Irrtum vorlag. Nur 1° – etwa zwei Vollmonddurchmesser – lag er von der vorhergesagten Position entfernt. Aber bewegte sich das Scheibchen auch? Nur dann nämlich konnte man sicher sein, dass es sich tatsächlich um einen Planeten handelte. Notgedrungen musste man den nächsten Abend abwarten – tatsächlich hatte er sich bewegt.

Zum ersten mal war ein Planet nicht durch Beobachtung, sondern durch mathematische Berechnung entdeckt worden – ein Triumph der Wissenschaft, ein Triumph für Le Verrier. Und eine Blamage für all jene, die zuvor die Suche abgelehnt hatten.

Am Morgen des 25. September – nach zwei Beobachtungsnächten – schickte Galle ein Telegramm an Le Verrier: „Mein Herr! Der Planet, dessen Position Sie errechnet haben, existiert tatsächlich.“ In Windeseile sprach sich die Entdeckung des achten Planeten in der wissenschaftlichen Welt herum, Galle und Le Verrier wurden auf einen Schlag berühmt.

Kleine Fehler gab es doch

Dass es doch einige kleine Ungenauigkeiten gab, war schnell vergessen. So war der Planet mit 8m rund zweieinhalb mal so hell wie angenommen, er war auch nicht 39, sondern nur 30 Astronomische Einheiten entfernt – rund 4,5 Milliarden Kilometer. Rund vier Stunden und zehn Minuten benötigt das Licht, um von der Sonne zum Neptun zu gelangen. Zum Vergleich: Die Strecke zwischen Sonne und Erde legt das Licht in 8 Minuten und 20 Sekunden zurück, zwischen Erde und Mond braucht es lediglich 1,3 Sekunden. Auch benötigt Neptun nicht 144 Jahre, um die Sonne zu umrunden, sondern 164,8 – am 12. Juli 2011 befand sich der Planet wieder exakt an der Stelle am Himmel, an er der 1846 entdeckt wurde.

Galle bleibt bescheiden – England und Frankreich liefern sich eine Schlammschlacht

Für Le Verrier wie für Galle brachte die Entdeckung einen Karriereschub – ersterer wurde Chef der Pariser Sternwarte und Professor an der Sorbonne, letzterer Direktor der Sternwarte in Breslau und Professor an der dortigen Uni. Le Verrier starb übrigens am 23. September 1877 – auf den Tag genau 31 Jahre, nachdem Galle erstmals den Neptun am Himmel gesehen hatte.

Galle blieb trotz seines Ruhmes bescheiden: Er lehnte es ab, als Entdecker des Neptuns zu gelten, sprach die Entdeckung allein Le Verrier und dessen Berechnungen zu. Dennoch ehrte ihn Google am 9. Juni zu seinem 200. Geburtstag mit einem Doodle. Anders die Engländer und Adams, sie lieferten sich eine jahrzehntelange Schlammschlacht mit den Franzosen. Adams habe die Berechnungen bereits zwei Jahre früher angestellt und sich an die Sternwarten in Cambridge und Greenwich gewandt, nur habe er dies nicht öffentlich gemacht. Nicht Galle habe den Planeten zuerst gesehen, sondern James Challis, der Direktor der Sternwarte Cambridge, und zwar am 4. und am 16. August 1846, also rund sechs Wochen zuvor. Nur habe Challis leider, leider, seine Aufzeichnungen erst später ausgewertet und erst da bemerkt, dass zwischen seinen beiden Beobachtungen ein Lichtpünktchen seinen Ort verändert habe, und dieses Pünktchen sei der Neptun gewesen. Heute hingegen weiß man, dass die Berechnungen von Adams viel zu ungenau waren und die Engländer versucht hatten, bestimmte Daten zu „begradigen“.

Die Franzosen wollten den Planeten übrigens zunächst „Le Verrier“ nennen – das hätte die Astrologen vermutlich ganz schön ins Schwitzen gebracht: sie hätten ihre Deutungen dann nicht an der Symbolik der antiken Götter orientieren können.

Die Raumsonde Voyager 2 bringt eine Fülle neuer Erkenntnisse

Nur 17 Tage nach der Entdeckung des Neptun, am 10. Oktober 1846 entdeckte William Lassel den ersten Neptunmond, Triton. Er ist etwa genauso groß wie der Erdmond und auch genauso weit von seinem Mutterplaneten entfernt. Danach wurde es erst einmal still um Neptun – er war einfach zu weit weg, die damaligen Instrumente zu schlecht, um detaillierte Beobachtungen zu machen. Volle 103 Jahre dauerte es, bis der zweite Neptunmond, Nereide, entdeckt wurde. Außerdem vermutete man seit den 1980er Jahren, dass Neptun – ähnlich wie Saturn – von Ringen umgeben sei: Immer, wenn der Planet direkt über einen Stern hinweg zog, kam es zu einem kurzen Flackern, bevor der Stern hinter Neptun verschwand und kurz nachdem er wieder auftauchte.

Was für ein Planet: 13 Monde, 5 Ringe, 2 Nord- und 2 Südpole und einen inneren Ofen

Das änderte sich erst mit der Raumsonde Voyager 2, dem Hubble-Teleskop und mit der Entwicklung neuer rechnergestützter Optiken. Voyager 2 startete am 20. August 1977 von Cap Canaveral aus, am 26. August 1989 flog sie in nur 5000 km Entfernung an Neptun vorbei. Die Instrumente der Sonde lieferte eine unglaubliche Menge neuer Erkenntnisse: Auf Anhieb fand sie gleich sechs neue Monde, fünf weitere wurden 2002 und 2003 vom Weltraumteleskop Hubble oder mit neuartigen Instrumenten von der Erde aus entdeckt – damit stieg die Zahl der Neptunmonde auf stolze 13 an. Auch die bereits vermuteten Ringe – fünf an der Zahl – bestätigten sich, sie sind nach den an der Neptun-Entdeckung beteiligten Astronomen benannt: Galle, Le Verrier, Adams, Lassel, der fünfte Ring ist unbenannt.

Durch den Gehalt von Methan ist der Planet tiefblau gefärbt. Erstmals konnte auch der genaue Durchmesser des Planeten – 49.000 Kilometer – und die Dauer des Neptuntages – 16 Stunden – bestimmt werden. Auf dem Planeten herrschen Temperaturen von – 200° C, auf seinem Mond Triton gar von –236° C. Gewaltige Stürme von bis zu 2.000 Stundenkilometer brausen über ihn hinweg.

Wegen der Neigung der Bahnachse gibt es auf Neptun auch Jahreszeiten – die dauern allerdings, weil er so lange braucht, um die Sonne zu umrunden, rund 40 Jahre. Noch unglaublicher: Neptun hat ein Magnetfeld mit zwei Nord- und zwei Südpolen, ein sogenanntes Quadrupolfeld. Außerdem besitzt er einen inneren Ofen – er strahlt zweieinhalb mal mehr Energie ab, als er von der Sonne empfängt. Grund dafür dürften radioaktive Prozesse sein, die in seinem Kern ablaufen.

Kann man als Laie den Neptun beobachten? Aber ja!

Wer jetzt neugierig geworden ist und Neptun einmal selbst beobachten möchte – kein Problem, die Zeit ist jetzt besonders günstig. Denn am 24. August 2012 steht Neptun in Opposition zur Sonne – Neptun und Erde befinden sich dann, von der Sonne aus gesehen, in einer Linie. Zu diesem Zeitpunkt ist der Planet etwas heller als sonst, er erreicht etwa die Größe 7,8m. Außerdem ist er dann die ganze Nacht über sichtbar.

Was sie brauchen, ist ein gutes Fernglas, das aber unbedingt auf einem Stativ sein sollte, und eine Sternkarte, sonst wird’s mit dem Suchen schwierig. Sie finden ihn im Sternbild Wassermann an der Grenze zum Steinbock ganz in der Nähe jener Kurve, die auf der Sternkarte mit „Ekliptik“ bezeichnet ist. Am besten lassen Sie sich von einem Amateurastronomen helfen oder fragen einfach bei der nächsten Volkssternwarte nach, dort gibt es häufig Führungen.

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