Wann, wie und warum wurden eigentlich die Briefmarken erfunden? In den Zeiten von Stempelfrankierungen, E-Post und Internet führen Briefmarken einen harten Überlebenskampf. Die kleinen Klebepapiere erfreuen sich zwar immer noch großer Beliebtheit im Postverkehr. Doch Philatelie-Vereine klagen über Nachwuchssorgen, und die einstige Vielfalt gezackter Papierchen ist inzwischen weitgehend dem glatt standardisierten Erscheinungsbild der Automatenmarken gewichen. Daran hat auch die Abschaffung des Postmonopols nichts ändern können. Es scheint ein langsames Sterben auf Raten zu sein, denn die Blütezeit der Briefmarken liegt in Deutschland bereits rund ein Jahrhundert zurück. Grund genug also, einmal Rückschau zu halten.
Die Vorläufer heutiger Briefmarken
Der Blick in ein beliebiges Lexikon wird den Leser vermutlich belehren, dass die erste Briefmarke der Welt in England erfunden wurde. Dies könnte allerdings Prostest unter unseren französischen Nachbarn auslösen, denn die der Briefmarke zugrunde liegende Idee stammt aus Frankreich.
Ein gewisser Jean Jacques Renouard de Velayer diente dort unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. als Staatsrat und „Berichterstatter über Bittschriften“. Im Jahr 1653 erhielt er das Privileg, in Paris ein innerstädtisches Postwesen zu errichten. De Velayer ließ fortan bezahlte Briefsendungen mit Papierstreifen versehen. Jene waren entweder angeheftet, umschlangen den Brief oder wurden auf andere Weise lose befestigt, so dass der Postbeamte sie bei der Zustellung problemlos wieder entfernen konnte. Wirklich neu an diesem System war zudem der Gedanke, dass nun nicht mehr der Empfänger, sondern der Absender eines Schreibens die Kosten übernahm. Jede Zustelldienstleistung war damit vorweg bezahlt: Eine Art barockes Prepaid sozusagen.
Allerdings überlebte diese Idee nicht sehr lang. De Velayers Stadtpost wurde bereits nach fünf Jahren durch ein System von Claude Humbert Piarron de Chamousset abgelöst. Dessen sogenannte Petite Poste arbeitete zwar wieder ohne die Papierstreifen, war aber dafür effizienter. Auch in anderen Länder konnten sich zaghafte Frankierungsversuche zunächst nicht durchsetzen. So scheiterte beispielsweise 1818 auf Sardinien nach kurzer Zeit die Einführung gestempelter Briefumschläge.
Durchbruch in England: Die Postreform von Rowland Hill
Am 26. Dezember 1839 wurde in England ein Gesetz namens Pennyporto Bill erlassen. Es regelte die Herausgabe gestempelter Briefbögen und -kuverts sowie aufklebbarer Briefmarken. Für letztere fertigte eine Londoner Kupferstecherei das Motiv: Ein schlichtes Porträt von Königin Victoria in der Seitenansicht. Diese „Penny black“ genannte Marke erschien erstmals am 6. Mai 1840 und ist heute eine philatelistische Kostbarkeit, ebenso wie ihr blau gefärbter Probedruck.
Neben der eigentlichen Frankierung beinhaltete die Postreform eine weitere revolutionäre Neuerung: Die Vereinheitlichung der Portokosten, welche bis dato je nach Entfernung und Briefmenge anfielen. Jede inländische Briefsendung mit höchstens einer halben Unze Gewicht kostete nun einen Penny.
Der Vordenker dieser Reform war Sir Rowland Hill (1795-1879), ein ehemaliger Lehrer, der nach der Umsetzung seiner Ideen in den Postdienst eintrat und dort Karriere machte. Hill erhielt für seine Verdienste den Bath-Orden sowie eine sogenannte Nationalbelohnung in Höhe von 20 000 Pfund Sterling. Nach seinem Tod ehrte man ihn mit einem Begräbnis in der Westminster Abby. Dem Grabmal wurde 1881 eine Büste hinzugefügt. Im Jahr darauf entstand gegenüber der Londoner Börse ein weiteres Denkmal für Hill.
Hat Sir Rowland Hill die Briefmarke erfunden?
Doch als Erfinder der Briefmarke muss eigentlich ein anderer Brite gelten: James Chalmers (1782-1853). Geschäftlich erfolgreich betrieb der Schotte eine Buchhandlung und war zudem Verleger des „Dundee Chronicle“. Bereits 1834 regte er offiziell die Verwendung aufklebbarer Postmarken an und fertigte erste Probeexemplare. Seine Ideen wurden 1839 aufgegriffen und fanden Verwendung in Rowland Hills Postreform. So großen Ruhm wie Sir Hill erfuhr Chalmers jedoch nicht. Lediglich seine Heimatstadt Dundee bedachte ihn mit einer Ehrung. Später legte allerdings der Sohn des Erfinders in 29 Flugschriften ausführlich dar, dass tatsächlich Chalmers und nicht Hill die Briefmarke erfunden habe. Bis heute werden jedoch beide Namen im Zusammenhang mit der Erfindung der Briefmarke genannt.
Der Siegeszug der Briefmarke
Nach ihrer Einführung in England etablierte sich die Briefmarke rasch auch in anderen Ländern. Innerhalb von zwei Jahrzehnten hielten die kleinen Wertzeichen in nahezu ganz Europa sowie in Kanada, Brasilien und Persien Einzug. Um die Wende zum 20. Jahrhundert konnte man schließlich von einer weltweiten Verwendung der Briefmarke ausgehen.
Mit der Zeit entwickelte sich sogar eine eigene „Briefmarkensprache“. Je nach Anordnung, Lage und Ausrichtung der Marke ließen sich damit dezente Herzensbotschaften übermitteln. Deren Bedeutung musste natürlich zuvor abgesprochen werden. Eine allgemeingültige Codierung hätte schließlich jeder entziffern können!
Von der hohen Akzeptanz der Briefmarke im täglichen Postverkehr zeugte allerdings auch eine weniger romantische Tatsache. Schon bald tauchten erste Fälschungen auf, denn immerhin stellte die Briefmarke eine Art Wertpapier dar. Folgerichtig fand dieser Tatbestand frühzeitig Einzug in das deutsche Strafgesetzbuch. Bis zur Privatisierung der Deutschen Post 1995 galten Briefmarken offiziell als Postwertzeichen. Ihre Abänderung oder Nachahmung wurde daher in der Regel als Fälschung amtlicher Wertzeichen nach § 148 StGB deklariert. Heute dürfte ein solches Vergehen dagegen von zahlreichen anderen Paragrafen zur Fälschung von Urkunden, Wertpapieren und dergleichen erfasst werden.