Seit Jahrzehnten zieht ein kleiner gallischer Krieger Generationen von Lesern in seinen Bann. Worin, beim Teutates, liegt dieser Erfolg begründet? Lateinschüler wissen aus leidvoller Erfahrung: Julius Caesar war eine historische Gestalt, beim Jupiter! Die Menschheit verdankt seinem Drang nach Selbstdarstellung eine akribische, in geschliffenem Latein verfasste Beschreibung des von ihm entfesselten Gallischen Krieges (58-50 v. Chr.). Dass die von ihm geschilderten politischen Zustände, die Personen, Stämme und Völker tatsächlich existiert haben, konnte die Geschichtsforschung nachweisen. Dennoch blieb die Zahl jener, die sich für die Ereignisse in Gallien (dem heutigen Frankreich) kurz vor der Zeitenwende interessierten, über Jahrhunderte hinweg sehr überschaubar – die zur Lektüre von Caesars „De Bello Gallico“ mehr oder weniger gezwungenen Lateinschüler mit eingerechnet.
Seit 1961 sorgt die Comicserie „Asterix der Gallier“ aus Frankreich (dem antiken Gallien) für weltweites Interesse an jener kurzen Epoche, in der ganz Gallien (ganz ?) durch die Legionen des großen Strategen Caesar dem römischen Imperium einverleibt wurde.
Bildergeschichten mit historischen oder politischen Bezügen sind in diesem Genre nichts Außergewöhnliches; es sei etwa an „Prinz Eisenherz“ von Hal Foster oder an „Palästina, eine Comic-Reportage“ von Joe Sacco erinnert. Doch seit Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ war keiner Story ein solch beispielloser Erfolg zuteil geworden wie jener über die unbeugsamen Einwohner eines kleinen Dorfes an der Küste der Bretagne. Die Gründe dieses Erfolgs sind so vielschichtig wie die Geschichten bunt.
Die antike Welt im Comic
Illustrierte Geschichten eignen sich hervorragend, langweilige, trockene oder moralisierende Inhalte gefällig zu transportieren. Noch heute fehlen solche Klassiker wie der „Struwwelpeter“ (erschienen 1845) oder „Max und Moritz“ (erschienen 1865) in kaum einem Kinderzimmer. Sie gehören heute zur Weltliteratur.
Dem begnadeten französischen Zeichner Albert Uderzo und seinem kongenialen Texter René Goscinny († 1977) ist es gelungen, die griechisch-römisch-gallische Antike in einer Weise lebendig werden zu lassen, die alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten gleichermaßen anspricht. Trotz mancher künstlerischen Freiheiten und bewusst in Kauf genommener chronologischer Unstimmigkeiten zeichnet sich das Werk insgesamt durch eine bemerkenswerte Detailtreue aus.
Sag mir wie du heißt und ich sag dir wer du bist…
Neben den von Uderzo zeichnerisch meisterhaft umgesetzten optischen Unterschieden zwischen den rustikal-anarchischen Galliern und den militärisch-zivilisatorisch hochkultivierten Römern sind es vor allem die Namen, die den Protagonisten eine Identität verleihen. Von wenigen historischen Ausnahmen abgesehen (Caesar, Cicero, Vercingetorix, Cassivellaunus) besitzen die Figuren Fantasienamen, deren charakteristische Endungen sie eindeutig als der einen oder der anderen Seite zugehörig ausweisen. Die für altrömische Namen so typische Endung –us (beziehungsweise –a bei weiblichen Namen) ist kennzeichnend für die Römer. In der deutschen Übersetzung werden gerne auf –us endende Substantive als Nachnamen zweckentfremdet (Apfelmus, Hotelterminus, Handkus). Sehr beliebt sind auch Wortschöpfungen, die etwas über den Charakter der Namensträger verraten (Faulus, Hasenfus, Schlagdraufundschlus).
Die gallische Namensendug -ix ist von Vercingetorix abgeleitet, einem Freiheitskämpfer, der 52 v. Chr. in der Schlacht bei Alesia gegen Caesar unterlag. Sowohl im französischen Original als auch in der Übersetzung geben die Fantasienamen viel über die Eigenheiten ihrer Träger preis (Grautvornix, Numalfix, Sagnix). Manche nehmen auch Bezug auf andere, dem Leser bekannte Figuren (Nullnullsix, Francocampus). Während der Name der Hauptfigur eine Verballhornung von Asterisk (Sternchen) ist, dürfte Obelix auf ein antikes Vorbild zurückzuführen sein: auf einem gallo-römischen Votivblech bezeichnete sich ein gewisser Andossus als „Obbelexxi filius„, als Sohn des Obbelexx!
Die Unterscheidung der verschiedenen Volksgruppen anhand der Namensendung wird in allen Episoden konsequent beibehalten: die britischen Vettern der Gallier schmücken sich mit Namen wie Teefax, Relax oder Hanssax, womit sowohl auf die keltischen Blutsbande als auch auf den feinen Unterschied zwischen kontinentalen und insularen Galliern augenzwinkernd aufmerksam gemacht wird. In Anlehnung an den skandinavischen Namen Olaf nennen sich die Normannen Pifpaf, Telegraf oder Maulaf, während die Endung –ik den germanischen Goten vorbehalten ist (Elektrik, Holperik, Cholerik). An den Endungen –os und –as erkennen wir unschwer Vertreter der Hellenen (Bratensos, Kontrabas).
Asterix und seine europäischen Nachbarn
Der bevorzugte Schauplatz der Geschichten ist Gallien und das darin angesiedelte Dorf, das seine Unabhängigkeit mit List und Zaubertrank gegen die römische Übermacht verteidigt, beim Teutates! Aber auch Rom, die Hauptstadt des Imperiums und Sitz der durch Caesar repräsentierten Zentralgewalt wird regelmäßig zur Bühne des Geschehens. Doch das römische Reich bestand nicht nur aus Gallien und Italien, sondern schloss noch zahlreiche andere Provinzen mit ein, die zumindest teilweise mit den Territorien heutiger Staaten deckungsgleich waren. So lernen Asterix und Obelix auf ihren Abenteuern unter anderem Belgien, Britannien, Spanien, Deutschland, Griechenland, Ägypten, Skandinavien und die Schweiz kennen. Ja selbst bis nach Indien und auf den nordamerikanischen Kontinent wagen sich die unerschrockenen, knubbelnasigen Gallier. Das ist historisch zwar nicht ganz korrekt, doch immerhin waren die Gallier (die Galater der Bibel) auf ihren Raubzügen bis in die heutige Türkei vorgedrungen.
Die typischen Eigenarten der besuchten Völker werden von den Autoren mit spitzer Schreib- und Zeichenfeder treffsicher karikiert: die Pickelhauben der Goten oder die dem Angelsächsischen nachempfundene Satzstellung der Briten („Ich würde sein froh, wenn unser Nachbar würde packen aus, damit ich könnte ruhig lesen meine Zeitung.“) besitzen hohen Wiedererkennungswert. Derartige Anspielungen erzeugen bei den Lesern Neugier. Kaum ein zeitgenössischer Belgier, Brite oder Korse, der sich bei der kurzweiligen Lektüre dem Reiz des Selbsterkennens zu entziehen vermag. Das erklärt einen erheblichen Teil des internationalen Erfolgs der Serie.
Moderne Auffassungen in antikem Gewand
Uderzo und Goscinny hatten nie die Absicht, mit ihrem Comic ein Abziehbild der antiken gallo-römischen Welt zu schaffen. In reizvollem Kontrast zu den oft minutiös ausgemalten antiken Szenarien (Circus maximus, Olympia, Rom) verhalten sich die Figuren keineswegs wie Menschen der Antike. Sie fahren zum Urlauben ans Meer und verursachen Verkehrsstaus. Auch die sich in den Gassen von Lutetia angrantelnden Lenker von Ochsenfuhrwerken erinnern eher an die heutigen Zustände auf verstopften Pariser Straßen.
Auffällig neuzeitlich mutet auch das Frauenbild an. In Wirklichkeit dürfte den gallischen Frauen kaum ein so emanzipiertes Leben wie Gutemiene, Yellosubmarine und Vaseline gegönnt gewesen sein. Überhaupt wird das Leben eher von der heiteren und harmlosen Seite dargestellt. Hierzu passt sehr gut der possierliche Hund Idefix, der womöglich wegen der Unmengen verspeister Wildschweine als Abbitte an die Tierfreunde Sympathien gewinnen soll.
Asterix als antimilitaristisches Sprachrohr
Trotz Truppenaufmärsche und historisch belegter Manöver (Schildkröte) fließt im Comic nie Blut. Sämtliche Auseinandersetzungen zwischen den Kontrahenten beschränken sich auf Massenraufereien, die – verstärkt durch die Wirkung eines Zaubertrankes – absurde Ausmaße annehmen können. Der historische Sieg Caesars wird durch den hinhaltenden Widerstand eines einzigen Dorfes im Nachhinein als militärischer „coitus interruptus“ lächerlich gemacht („Die haben es uns aber gegeben, deine Besiegten!„). Der militärische Gestus der römischen Supermacht -und somit jeder Supermacht schlechthin- wird spöttisch konterkariert („Die spinnen, die Römer„).
Asterix als Gesamtkunstwerk
Die geistigen Väter von Asterix und Obelix kombinieren meisterhaft eine Vielzahl von Gestaltungselementen und schaffen so ein aus zahlreichen unterschiedlichen Facetten zusammengesetztes Gesamtkunstwerk von hohem Unterhaltungswert, das obendrein noch zur Allgemeinbildung beiträgt:
- künstlerische Gestaltung der Bilder und der Charaktere mit viel Liebe zum Detail
- große historische Sachkenntnis
- dichter Wortwitz sowie eine Unzahl von Anspielungen, Wortspielen und Persiflagen
- Gallier, Römer und andere Volksgruppen spiegeln die Eigenarten ihrer rezenten Nachfahren wider, in denen sich der Leser wiedererkennen kann
- das Verbergen prominenter Zeitgenossen (Jean Gabin, Lino Ventura, Sean Connery, Arnold Schwarzenegger) oder auch der Autoren selbst in ausgewählten Figuren
- running gags wie das Versenken der glücklosen Seeräuber, der zu Handgreiflichkeiten ausartende Streit um die Frische gewisser Waren oder das nachdrückliche Auftrittsverbot für den Barden Troubadix
- ein gleichbleibend hohes Qualitätsniveau aller fremdsprachigen Ausgaben durch persönliche Kontrolle der Rückübersetzung ins Französische durch die Autoren