Eine kurze Geschichte der Schrift. Unsere heutige leistungsfähige Lautschrift hat sich über Jahrtausende aus den ursprünglichen Bilderschriften der Ägypter und Sumerer entwickelt. Schrift ist eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte. Als grafisches Zeichensystem ermöglicht sie uns die Bewahrung und Weitergabe von Informationen und Wissen. Genauso wie bei der Sprache resultiert ihre hohe Leistungsfähigkeit aus ihrer Arbitrarität (lat. „Willkürlichkeit“), womit gemeint ist, dass die Beziehung zwischen dem Bezeichnenden (Wort/Zeichen) und dem Bezeichneten (seine Entsprechung in der Realität) auf menschlicher Konvention und Vereinbarung beruht, anstatt auf einer naturgegebenen Gesetzmäßigkeit. Tatsächlich aber war bei den ursprünglichen Schriftsystemen der Zusammenhang zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten die Grundidee, wie bei den Hieroglyphen der Ägypter.
Die ägyptischen Hieroglyphen und die Grundlagen der Schrift: Piktogramme, Ideogramme, Phonogramme
Die Geschichte der Schrift beginnt etwa um 3000 v. Chr., als die Ägypter das wohl erste systematische Schriftsystem begründeten: die Hieroglyphen. Sie gelten als Bilderschrift, in der ein bestimmtes grafisches Zeichen für ein bestimmtes Objekt steht. Dies ist aber nur auf den ersten Blick wahr, denn die Schrift entwickelte sich weiter – hin zu einer Mischung aus piktographischen, ideogrammatischen und phonogrammatischen Elementen und damit auch hin zu einem arbiträren Schriftsystem mit hoher Leistungsfähigkeit. Die ursprüngliche Hieroglyphenschrift können wir uns wie Piktogramme und Ideogramme vorstellen, die sehr vereinfacht eine bestimmte Bedeutung vermitteln. Weil Piktogramme und Ideogramme wesentliche Vorläufer des heutigen Schriftsystems sind, soll hier kurz der Unterschied zwischen ihnen erklärt werden:
- Piktogramm: repräsentiert ein bestimmtes Objekt durch stilisierte grafische Darstellung (Stierkopf steht für „Stier“ etc.)
- Ideogramm: repräsentiert einen abstrakten Begriff (z.B. Beine stehen für „gehen“ etc.), entsteht durch Abwandlung und Kombination von Piktogrammen oder durch Erfindung neuer Symbole (z.B. ägyptisches Zeichen „Anch“, das für das Leben und das Leben nach dem Tod steht)
Mit der Zeit hat sich das ägyptische Schriftsystem weiterentwickelt und zunehmend mehr Symbole erhielten die Funktion von Konsonantenzeichen. Die einzelnen Zeichen standen nun also für die Mitlaute und können daher als Phonogramme (grafische Repräsentanten von bestimmten Phonemen=Lauten) bezeichnet werden. Damit war die ägyptische Schrift unserer heutigen Lautschrift, in der jedes der 26 Zeichen des Alphabets für einen sprachlichen Laut steht, ähnlicher, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Die Hieroglyphen der Ägypter nutzten 27 Phonogramme (Mitlaute), die jedoch durch Piktogramme und Ideogramme ergänzt wurden.
Die sumerische Keilschrift
Die Entwicklung der sumerischen Keilschrift begann in etwa zum selben Zeitpunkt wie die Herausbildung des ägyptischen Schriftsystems. Inzwischen wird die Keilschrift sogar einige hundert Jahre vor den Hieroglyphen datiert. Im Wesentlichen machte die Schrift der Sumerer dieselbe Entwicklung durch: von der reinen Bilderschrift über die ideogrammatische Schrift hin zur Silbenschrift und letztendlich zur Lautschrift. Den Namen hat die sumerische Keilschrift von der charakteristischen Form der Zeichen, die aufgrund der angespitzten Schilfrohre entstand, die als Schreibwerkzeug verwendet wurden.
Schriftentwicklung bei den Phöniziern und Griechen
Eine bedeutende Wende hin zu den heute gebräuchlichen Alphabeten brachte im ersten Jahrtausend v. Chr. das Volk der Phönizier. Sie mischten die Schriftsysteme der Sumerer, Ägypter und Kreter und formten so das erste Schriftsystem, das sich auf eine bestimmte Zeichenanzahl (22 Zeichen) beschränkte. Damit bildeten sie die Basis für das heute gebräuchliche lateinische Alphabet und viele andere Schriftsysteme, wie das griechische, hebräische, arabische und indische Alphabet. Die Phönizier abstrahierten die Schriftzeichen zunehmend und entfernten sich immer mehr von der bildlichen Darstellung, sodass sie als Erfinder der Buchstabenschrift gelten können. Als Beispiel hierfür wird allgemein das phönizischen Zeichen für Stier („Haleph“) genannt, das zu unserem heutigen „A“ wurde. Das phönizische Zeichen für Stier lebt in der heutigen Bezeichnung „Alphabet“ (gr. „Alpha“) weiter. Beeinflusst von den Phöniziern entwickelten schließlich auch die Griechen ihr anfangs komplexes Alphabet weiter und gelangten zu einem leicht schreibbaren und auf 24 Zeichen beschränkten Schriftsystem.
Schriftentwicklung bei den Römern: Die lateinische Schrift
Das griechische Alphabet hat sich in der Folge weit verbreitet und wurde unter anderem auch von den Etruskern aufgenommen. Dieses Volk bewohnte den mittelitalienischen Raum und wurde mit der Eroberung durch die Römer (300 bis 90 v. Chr.) gänzlich assimiliert. Dabei wurde das griechische Alphabet von den Römern übernommen und in etwas abgeänderter Form als lateinisches Alphabet in alle Welt verbreitet. Um Christi Geburt galt die „Römische Quadrata“ als der Inbegriff der lateinischen Schrift. Ihre Buchstabenformen waren aus dem Quadrat konstruiert, so wie auch heute viele Schriften eine geometrische Grundstruktur besitzen. Die „Römische Quadrata“ war durch ihre Konstruktion nicht leicht zu schreiben, daher bediente man sich für den Alltagsgebrauch einer flüssigeren Schrift, der sogenannten „Capitalis Rustica“.
Schriftentwicklung im Mittelalter
In der Spätantike und im Mittelalter galt die serifenlose und mit Unter- und Oberlängen versehene „Unziale“ als Hauptschrift. Sie ließ sich durch ihre fließenden Formen leicht schreiben und wird heute noch als Zierschrift verwendet. Selbstverständlich gab es im Frühmittelalter noch keine einheitliche Schrift, vielmehr verwendete jedes Kloster eine eigene Form der Unziale. Das änderte sich zur Zeit Karls des Großen (8. Jh.), der als Herrscher die Bedeutung eines einheitlichen Schriftsystems erkannt hatte. Es entstand die „Karolingische Minuskel“, die einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen Schrift darstellt. Auf die „Karolingische Minuskel“ folgte die „Gotische Minuskel“, die sich im 14. Jh. in die beiden Schriftformen „Rotunda“ (verbreitet südlich der Alpen, weiche Form) und „Textur“ (verbreitet nördlich der Alpen, kantige Form) entwickelt. Während die Rotunda allgemein als Ahnenschrift der heutigen Standardschrift „Antiqua“ gesehen wird, so bildete die „Textur“ die Basis für die Schriften, die über Jahrhunderte hinweg mit deutschem Nationalstolz in Verbindung gebracht werden sollten. Sie entwickelte sich zu den sogenannten gebrochenen Schriftformen (z.B „Schwabacher“, „Fraktur“), die bis ins 20. Jh. hinein im deutschen Sprachraum verwendet wurden. Seit die Nationalsozialisten aber von diesen gebrochenen Schriften Gebrauch machten, ist ihre Verwendung eher verpönt und daher setzte sich auch im deutschen Raum zunehmend die Antiqua durch.
Die Antiqua als Basis aller modernen Schriften
Um 1450 stieg mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg auch die Bedeutung der Schrift. Es wurde nun möglich, Schriften und Wissen in alle Welt zu verbreiten. Für ein optimales Ergebnis wurde die Schriftform der Antiqua weiterentwickelt und es entstand ein Alphabet mit Klein- und Großbuchstaben und gemischt aus der „Römischen Quadrata“ und der „Antiqua“. Diese wurde dann weiterentwickelt zur „Renessaince-Antiqua“ (15. Jh.), die aus Quadraten und Rechtecken konstruiert wurde, und schließlich zur „Klassizistischen Antiqua“ (18. Jh.), in der alle Buchstaben dieselbe Breite aufweisen. Auf diesen beiden sehr unterschiedlichen Schriftformen bauen alle späteren Schriften auf.