Merkantilismus: verhängnisvolle Sucht nach Geld. Die Überbewertung des Geldes kann zum volkswirtschaftlichen Ruin eines ganzen Landes führen. Menschen aus früheren Zeiten mussten damit bereits traurige Erfahrung machen. „Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt“, lautet ein heute noch gebräuchliches Sprichwort. Wie so viele andere Volksweisheiten ist auch dieser Satz jedoch lediglich eine halbwahre Aussage. Ein längerer Abwärtstrend in der Volkswirtschaft genügt bereits, und schon beginnt die große Flucht in vermeintlich sichere Sachwerte. Dennoch ist die Geldanhäufung langfristig gesehen immer noch eine beliebte Vermögensanlage.
Auch im 17. und 18. Jahrhundert wurde Geld, ungeachtet seiner eigentlichen Funktion als reines Zahlungsmittel, für die einzig erstrebenswerte Vermögensform gehalten. Damals galt die wirtschaftspolitisch strikte Ausrichtung auf Barvermögen sogar als fortschrittlich und ging unter dem Begriff Merkantilismus in die Geschichte ein.
Schwerpunkt Geldzufluss: der Merkantilismus
Ziel der merkantilistischen Wirtschaftsordnung war die Vermehrung der verfügbaren Geldmenge durch politisch willkürliche Maßnahmen. So wurde das Exportgewerbe gefördert, während Importe hohen Zöllen unterlagen. Auf diese Weise zog der Staat aus beiden Warenströmen bare Vorteile. Da Untertanen vor allem als Steuerzahler angesehen wurden, war die Erhöhung der Bevölkerungszahl ein sekundäres Ziel des Merkantilismus. Zugunsten des geldschöpfenden Manufakturwesens wurde zudem die Landwirtschaft zurückgedrängt, denn Bauern leisteten in der Regel vorrangig materielle Abgaben.
Diese einseitige Fixierung auf Geld zerstörte aber das außenwirtschaftliche Gleichgewicht, welches in der modernen Ökonomie zu den vier Kennzeichen einer gesunden Volkswirtschaft zählt. In der Folge entstand ein Unterangebot an Waren, was wiederum Preissteigerungen bewirkte. Erhöhte Preise stellten jedoch eine faktische Geldentwertung dar, denn für die gleiche Summe konnte nun weniger konsumiert werden. Der Bedarf an weiteren Geldmengen war somit ständig präsent. Man intensivierte deshalb die Bemühungen um noch mehr Bargeld, womit sich ein fataler Kreislauf schloss.
Die politische Voraussetzung merkantiler Wirtschaft: Der Absolutismus
Im kontinentalen Europa herrschte damals eine personenbezogene Machtstruktur vor: der Absolutismus. Der jeweilige Landesherr war an kein Gesetz gebunden und vereinte unkontrolliert alle Machtbefugnisse auf sich. Gewaltenteilung gab es nicht. Da der Landesfürst also auch die finanzielle Oberhoheit besaß, bot sich eine merkantile Wirtschaftsform geradezu an. Die politische und ökonomische Stärke eines Staates definierte sich somit aus den Fähigkeiten seines Oberhauptes sowie durch dessen Bereitschaft, Ratgeber in Entscheidungen einzubeziehen.
Als repräsentatives, politisches und wirtschaftliches Vorbild dieser Epoche galt Frankreich. Dessen „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. soll nach unverbürgter Überlieferung die griffigste Formulierung für den Absolutismus geprägt haben: „L’État c’est moi“ – der Staat bin ich.
Merkantilismus: Vorbild Frankreich
Im absolutistischen Frankreich funktionierte das riskante Wirtschaftsmodell zunächst tadellos. Aus den Erfahrungen vergangener Glaubenskonflikte klug geworden, entzog sich das französische Herrscherhaus recht deutlich dem kirchlichen Einfluss und setzte stattdessen auf Einheit und Erfolg durch nahezu diktatorische Politik. Unter Ludwig XIV. vollendete sich dieser Prozess. Alle Macht- und Verwaltungsebenen unterhalb des Sonnenkönigs waren nunmehr straff geordnet. Fähige Leute wie das Finanzgenie Colbert sorgten für stetigen Geldzufluss im Staatshaushalt, also quasi in des Königs Kasse. Eine zentrale Finanzverwaltung erhob Steuern sowie Zölle und förderte die Abgabeleistung im Gegenzug durch verschiedene „Anreize“. So erhielten Adel und Klerus beispielsweise Privilegien, zahlten nur indirekte Steuern und durften sich dafür auch noch an materiellen Abgaben der Bauern und Kleinbürger schadlos halten. Deren „Anreiz“ wiederum bestand in der Ausübung von gegen sie gerichtetem Druck zur Erhöhung der Abgabenleistung. Einzig das Großbürgertum als eine Art Mittelstand erfuhr ein vergleichsweise ausgewogenes Verhältnis von Steuerlast und staatlicher Subvention.
Dieses System erwirtschaftete zunächst durchaus ökonomischen Erfolg, welcher jedoch von Militärausgaben und höfischer Prunksucht neutralisiert wurde. Unter den Nachfolgern des Sonnenkönigs verkehrte sich dieses Verhältnis schließlich in eine negative Bilanz. Es dauerte noch 74 Jahre, bis das marode System endgültig tot war. Die Last der Abgaben und Steuern soll zu diesem Zeitpunkt rund 70 Prozent des Einkommens betragen haben. Dann brach die Große Französische Revolution aus, und das Volk köpfte seinen König.
Deutscher Kameralismus: die Perversion merkantiler Wirtschaftsweise
Im 17. und 18. Jahrhundert bestand das Heilige Römische Reich deutscher Nation nur noch formell. Faktisch stellte es einen Flickenteppich aus Kleinstaaten dar, welche jedoch alle mehr oder minder dem französischen Vorbild nacheiferten. Allein aufgrund der wesentlich geringeren Größe deutscher Kleinststaaten konnte eine ähnliche Wirtschaftsleistung natürlich nicht funktionieren. Zudem wurde der Handel erschwert, da selbst vergleichsweise geringe Distanzen mehrere Landesgrenzen mit entsprechend vielen Zollstationen umfassten.
Der deutsche Merkantilismus, bisweilen auch Kameralismus genannt, entartete infolge dessen, denn die Fürsten verfielen aus finanzieller Not auf einen abscheulichen Menschenhandel als neue Geldquelle für höfische Prunksucht:
Während ihrer überseeischen Kriege benötigten Franzosen und Briten ständig neue Soldaten. Deutsche Landeskinder wurden von ihren Herrschern daher an diese und andere kriegsführende Staaten vermietet. Das widersprach zwar dem merkantilistischen Ziel „Bevölkerungswachstum“, spülte dafür jedoch enorme Geldmengen in die chronisch klammen Kassen deutscher Monarchen. Neben den sogenannten Subsidien, einer Art Grundmiete, erhielt der Landesherr weitere Zahlungen für Untertanen, die während der Verleihdauer verwundet oder getötet wurden. Am meisten verdiente ein Landesfürst also an Soldaten, die zunächst verwundet wurden und später an ihren Verletzungen starben. Diese pervertierte Form des Merkantilismus endete erst, als die Auswirkungen der Französischen Revolution auch nach Deutschland überschwappten:
Das Ende des Merkantilismus
In direkter Folge der politischen Umstürze in Frankreich konnte sich Napoleon I. zum Imperator aufschwingen und Europa mit Krieg überziehen. Das in Kleinstaaten zersplitterte Deutschland wurde dabei verhältnismäßig rasch besetzt. Als Gegenreaktion entstand der deutsche Nationalgedanke neu. Dieses Wir-Gefühl erzeugte eine entsprechende Widerstandsbewegung, welche mit zum Sieg über Napoleon beitrug. Obwohl reaktionäre Kräfte auf dem Wiener Kongress 1815 versuchten, den Absolutismus zu restaurieren, war dessen Zeit jedoch abgelaufen. Die Idee von Bürgerrechten und Demokratie setzte sich allmählich durch. In Sachsen, Hannover und Kurhessen wurden Verfassungen beschlossen, andere Regionen wandelten sich zumindest in konstitutionelle Monarchien um, wodurch der Staatshaushalt einer gewissen Kontrolle unterlag. Auf diese Weise wurde dem Merkantilismus die Grundlage entzogen, denn seine Nutznießer, absolutistische Fürsten, gab es schlichtweg nicht mehr.